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Ueber die Liebe und den Hass

Ueber die Liebe und den Hass

Titel: Ueber die Liebe und den Hass
Autoren: Rachida Lamrabet
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ihr ein alter Mann, der einem mit dem Schwanz wedelnden Hund etwas hinhielt. Das Bild einer ländlichen Szene in Marokko. Einfach. Ruhig.
    Wollte seine Frau denn nicht ein solches Leben führen? Sie beide allein im Haus seines Vaters? Er lächelte. Wahrscheinlich würde sie es nicht einmal einen einzigen Tag dort aushalten. Erst recht nicht, wenn sie feststellen müsste, dass das Handynetz dort zwischen den Bergen besonders schlecht war. Ihr würde der Kaffeeklatsch mit den Töchtern und den Nachbarinnen sehr fehlen. Und ihr gefiel es auch, allein loszugehen und das Angebot der Händler zu studieren. Größtenteils alles nur irgendwelcher Krempel, aber er konnte sie nie davon abhalten, solche Sachen zu kaufen. Dort in den Bergen gab es weit und breit keine Läden oder Händler. Aber Mandelbäume. Viele Mandelbäume. Er hatte die Vermutung, dass die vergilbte Ansichtskarte bei seiner Frau genau die entgegengesetzte Wirkung haben würde. Und tief in seinem Inneren war er ihr dankbar dafür, dass sie so unbeirrbar war. Sie ermöglichte es ihm, ab und zu alles hinter sich zu lassen und wieder durchzuatmen. Er fragte sich, ob sie nicht auch manchmal dieses Bedürfnis verspürte. Doch dieser Gedanke schien ihm eher unrealistisch zu sein. Sie machte einen zufriedenen Eindruck auf ihn. Vor allem war sie eine Frau, die ihre Bedürfnisse nie in den Vordergrund stellte. Sie war eine Frau, die jeden glücklich machen wollte.
    Im Gegensatz zu ihm behielt sie nichts für sich, sondern musste alles immer gleich aussprechen. Es machte sie krank, wenn sie etwas zu lange für sich behalten musste. Damit hatte er manchmal Schwierigkeiten. Reden war für ihn nicht so wichtig. Das meiste sagte sich sowieso von allein. Er redete erst dann, wenn er das Gefühl hatte, dass der natürliche Ablauf ins Stocken geraten war. Um sein Unbehagen zu äußern, und nicht so sehr seine Zufriedenheit.
    E 19. Richtung Antwerpen. Eine schwere Last fiel von ihm ab, die Müdigkeit war verflogen. Er spürte das angenehme Prickeln, er kam nach Hause. Kurz vor der Abfahrt nach Borgerhout sah er auf einer Brücke, die oberhalb der Autobahn verlief, die ersten Vorboten des anstehenden Wahlkampfs. Drei hohe Tiere vom Vlaams Blok schenkten den vorbeifahrenden Autos ein riesiges falsches Lächeln. Ihm fiel ein, dass bald Wahlen waren, und diese Partei war bereits in die Offensive gegangen, ihr Trumpf war der Hass.
    »Aufwachen, Boulif, wir sind da! Und wir werden vom Begrüßungskomitee der Rassisten empfangen.«
    Boulif blinzelte und verstand nicht recht, worum es ging. Bevor er die Augen ganz geöffnet hatte, waren sie bereits unter der Brücke hindurchgefahren und nahmen die Abfahrt. Bei Paris hatten sie einen Fahrerwechsel gemacht, und seitdem war er vor sich hin dösend der Beifahrer gewesen, mit dem Effekt, dass er nun einen schmerzenden steifen Nacken hatte.
    »Sind wir da?«
    » Alhamdulillah , für eine glückliche Reise und eine wohlbehaltene Ankunft.«
    » Alhamdulillah, waw malak al hamd . Wir sind wieder zurück im Land der Sorgen, mein Freund.«

Die Fotografin
    Es schüttete wie aus Kübeln, und es wollte mir einfach nicht gelingen, zur Hauptstraße zurückzufinden. Bald würde es draußen dunkel sein. Bereits seit einer Viertelstunde vibrierte das Handy in meiner Hosentasche. Doch ich war nicht gewillt, den Anruf entgegenzunehmen und mich noch einmal von der hysterischen Schwester der Braut beschimpfen zu lassen. Der Scheibenwischer kämpfte wie verrückt gegen die Sturzbäche auf der Windschutzscheibe an.
    Ich bog in irgendeine trostlose, nasse und verlassene Straße ein. Genauso gut hätte ich auch die Straße auf der anderen Seite nehmen können. Bei dieser vollkommen orientierungslosen Herumkurverei bekam ich das Gefühl, ich würde meine Runden im riesigen dunklen Schlund eines Monsters drehen, und jeden Moment könnte es sein Maul schließen und mich verschlingen.
    Als ich in die Straße eingebogen war, sah ich zu meiner großen Erleichterung ein hell erleuchtetes Gebäude. Ich beglückwünschte mich zu meinem Treffer. Als ich näher heranfuhr, sah ich, dass das große Fenster, offenbar ein Schaufenster, mit Spirituosen, Lebensmittelpackungen und weiteren undefinierbaren Dingen bestückt war. In der Mitte befand sich sogar ein kleiner künstlicher Weihnachtsbaum.
    Mir war nicht danach, das warme Auto zu verlassen und in den Regen hinauszulaufen, aber ich dankte den pfiffigen Geschäftsleuten für die Erfindung der 24-h-Läden, die wie
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