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Tiamat-Zyklus 2 - Die Sommerkönigin 1 - Der Wandel der Welt

Titel: Tiamat-Zyklus 2 - Die Sommerkönigin 1 - Der Wandel der Welt
Autoren: Joan D. Vinge
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TIAMAT
Die Windwärts-Inseln
    D ie Hand ließ das bunte Tuch los, und es flatterte nach unten. Hundert begeisterte Stimmen schrien im Chor, als der Wettlauf der jungen Mädchen am Strand begann.
    Clavally Bluestone Sommer saß hoch droben auf den Klippen und schaute zu. Der Wind, der vom Meer her wehte, streichelte ihr Gesicht und blies ihr das lange, schwarze Haar aus der Stirn. Lächelnd schloß sie die Augen und stellte sich vor, sie wäre bei dem Wettlauf drunten dabei. Als junges Mädchen hatte sie auf vielen Inseln im Sommermeer bei Wettkämpfen dieser Art mitgemacht, in der Hoffnung, zu siegen und während der dreitägigen Clan-Feiern die Auserwählte der Meeresmutter zu sein. Die Siegerin wurde geehrt, man schmückte sie mit Ketten aus polierten Muscheln, gab ihr neue Kleider, sie bekam nur die erlesensten und süßesten Speisen, die Ältesten zollten ihr Respekt, und alle jungen Männer hofierten sie.
    Mit versonnenem Lächeln faßte sie nach dem Kleeblatt-Medaillon, das sich glitzernd vom selbstgewirkten Stoff ihrer Tunika abhob. Es war schon sehr lange her, seit sie das letzte Mal an einem Wettlauf teilgenommen hatte.
    Fast ihr halbes Leben lang war sie nun schon eine Sibylle.
Wie war das nur möglich ...?
Sie öffnete die Augen und betrachtete das endlose blaugrüne Meer und den Himmel, ein Anblick, der sich dauernd veränderte und doch ewig gleich blieb; buntgefleckte Wolken, hier und da ein vergänglicher Regenbogen, wenn irgendwo in der Ferne ein Gewitter niedergegangen war. Die Zwillingssonnen lächelten auf die versammelten Menschen herab und wärmten angenehm ihre Schultern. Frühling lag in der Luft, und sie erinnerte sich an ihre eigenen erwachenden Gefühle.
    Sie sah sich um, als sie hinter sich Schritte hörte, und ihr Lächeln wurde strahlender, als sie ihren Gemahl erkannte, der mit einem Korb voller Fischküchlein und einem Krug Bier in der anderen Hand den Pfad heraufgestiegen kam. Sein graumeliertes Haar war zu einem Zopf geflochten, und sein Kleeblattmedaillon schimmerte in der Sonne.
    Ihr Lächeln erlosch, als sie merkte, wie schwer ihm der steile Anstieg fiel. Jedes Jahr wurden seine Gelenke steifer; das kam von den Aufenthalten in zugigen Steinhäusern und den mitunter wochenlang dauernden Ausflügen von Insel zu Insel, die bei jedem Wetter stattfanden. Danaquil Lu gehörte dem Wintervolk an; für das harte Leben der Sommerleute war er nicht geschaffen, und sein Körper rebellierte dagegen. Doch er klagte nur selten, denn er gehörte hierher, an diesen Ort, wo er ein Sibyl sein durfte ... und er liebte sie.
    Allmählich wurde das Wetter milder; das Sommergestirn erhellte den Himmel, und die wärmeren Tage würden Danaquil Lus Beschwerden vielleicht lindern. Sie lächelte schon wieder, als sie in seine Augen schaute, die blaugrün und glänzend waren wie das Meer.
    Er stellte den Korb mit den Lebensmitteln ab und bemühte sich, keine Grimasse zu schneiden. Sie legte ihm einen Arm um die Schultern und massierte sanft seinen Rücken, während sie auf den Strand hinunter deutete. »Sieh doch, gleich ist es vorbei!« Die Zuschauer drunten brüllten auf, als die Läuferinnen sich der Ziellinie näherten, die in den feuchten Sand gezogen war. Ein Mädchen mit wehender blonder Mähne war die erste; sie sahen zu, wie sie umarmt, mit Kränzen geschmückt und davongetragen wurde.
    »Es war ein gutes Rennen, Dana«, sagte sie, wobei die Erinnerung an ihre eigenen Wettkämpfe in ihrer Stimme mitschwang.
    Danaquil Lu nickte und seufzte; doch aus irgendeinem Grund kam es ihr vor, als hätte er den Kopf geschüttelt. »Wir sind nur eine kurze Zeit lang jung«, meinte er, »und das Alter dauert so lange.«
    Sie wandte sich an ihn. »Ach, komm!« entgegnete sie eine Spur zu fröhlich, denn insgeheim teilte sie seine Empfindungen. »Wie kannst du an einem solchen Tag so reden?« Sie gab ihm einen Kuß, damit er ihr nicht antworten konnte.
    Er lachte verdutzt. Sie aßen, sie genossen den Tag und ihr Beisammensein, die Atempause von all den Fragen, die die Festteilnehmer ihnen drunten im Dorf stellten.
    Schließlich stiegen sie den Hügel wieder hinab. Ein Clan-Treffen war immer ein vergnügliches Ereignis – Verwandte und Freunde, die verstreut auf den Inseln des Sommers lebten, sahen sich wieder; man huldigte der Meeresmutter und zollte der Herrin den ihr gebührenden Tribut. Dies war das Jahrestreffen der Goodventures, einem der größten Clans auf den Inseln. Vor dem letzten Wechsel waren sie die
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