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Ueber die Liebe und den Hass

Ueber die Liebe und den Hass

Titel: Ueber die Liebe und den Hass
Autoren: Rachida Lamrabet
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Leuchtbojen einen beruhigenden Schimmer in dunklen gefährlichen Vierteln verbreiten.
    Ich parkte halb auf dem Gehweg und sprintete in den Laden. Der Besitzer hockte auf einem Stühlchen hinter der Verkaufstheke und schaute fasziniert auf einen kleinen Fernseher. Es dauerte etwas, bis er sich von dem Bildschirm lösen konnte, auf dem ein weißer Mann und eine weiße Frau sich in den Armen lagen. Die Frau sprach schmachtende Worte in einer Sprache, die wie Urdu klang, woraufhin der Mann sie wie wild küsste.
    Mir war es unangenehm, dass ich gerade in diesem entscheidenden Moment stören musste. Beschämt suchte ich mir ein Mars aus den Schachteln vor der Theke aus. Aber ein Mars war kein Gegengewicht für eine verdorbene Filmszene. Der Besitzer hatte wahrscheinlich etliche langatmige Episoden durchstehen müssen und stoisch einen Cliffhanger nach dem anderen über sich ergehen lassen, die immer wieder mit geschickten Winkelzügen das Versprechen einer sexuellen Auflösung umgingen. Und jetzt, da der Moment endlich gekommen war, hatte er ihn nicht richtig auskosten, sich nicht an der langersehnten Entladung laben können.
    Mein Eintreten wurde von einem kühlen Windstoß begleitet, der ohne Pardon die prickelnde Ekstase wegblies, die sich Folge für Folge in dem kleinen gedrungenen Körper des Ladenbesitzers angestaut hatte. Und nun war alles futsch, sein Bilderschatz, der ihm bestimmt eine Woche lang ein himmlisches Gefühl bereitet hätte, wenn sein Laden gerade mal wieder ohne Kunden war.
    Ich sollte etwas Teureres kaufen, vielleicht eine Flasche Martini oder auch zwei. Er hatte sie dort so hübsch präsentiert, etwas verstaubt, aber doch in Reichweite. Du brauchst nichts, ermahnte ich mich, nicht einmal Kaugummi.
    Der Staub auf den Spirituosen, das unregelmäßig blinkende Rotlicht hinter den Vitrinen mit Keksen und Sandwiches warnten mich davor, hier etwas zu kaufen. Einfach nur fragen, wie ich zu diesem blöden Platz komme. Ich legte das Mars auf die Theke und kramte ein paar Münzen aus meiner Hosentasche hervor. Und schon wieder vibrierte mein Handy.
    »Können Sie mir sagen, wie ich zum Jan-Borluut-Platz komme?«, sagte ich und versuchte möglichst beiläufig zu klingen. Mein Gegenüber durfte nicht den Eindruck bekommen, dass meine Frage nach dem Weg die eigentliche Ursache dafür war, dass ich ihm den Moment verdorben hatte. Ich war einfach nur in seinen Laden gekommen, um mir einen Marsriegel zu kaufen.
    Der Mann hatte sich inzwischen von seinem Stuhl erhoben und bedachte mich eine Sekunde mit einem sparsamen Lächeln. Er hielt den Kopf ein wenig schief, als würde er versuchen, so alle Straßen- und Ortsnamen, die er kannte, auf einer Seite zu sammeln, damit er dann den richtigen herauspurzeln lassen konnte. Nachdem ich meine Frage wiederholt hatte, neigte er den Kopf noch ein klitzekleines Stück mehr. Irgendwo baumelte ein schwieriger Straßenname hartnäckig an einem Hirnlappen.
    Schließlich schüttelte er kurz und enttäuscht den Kopf. Ganz offenbar befand sich darin nur eine mickrige Ansammlung von Straßennamen, nach denen noch nie jemand gefragt hatte. Wahrscheinlich die Straße, in der sich der Großhandel mit den Spirituosen befand, die, wo Belgacom seinen Hauptsitz hatte und wo er Rechnungen anfechten und Bezahlungsvereinbarungen ausmachen konnte, und vielleicht noch die Straße, in der eine ältere Dame ab und zu seinen Lebensverdruss linderte.
    »Besser fragen Belg-Mann, ich nicht wissen.«
    Wahrscheinlich hatte er den kompletten Straßenplan von Karachi im Kopf, doch das schluckte Hirnmasse ohne jegli chen Nutzen. Ich bedankte mich und verließ den Laden, dabei verfluchte ich den 24-h-Laden, den Besitzer, mich selbst, den Regen und die Zeit, die in solchen Momenten schneller als das Licht war. Kostbare Minuten waren inzwischen verstrichen, und zudem war mein Haar nass und klebrig geworden.
    Zum Glück hatte ich mich zurückgehalten und nicht etwas für teures Geld gekauft.
    Während ich den Wagen anließ, spähte ich die Straße hinunter. Wo zum Teufel sollte man zu dieser Tageszeit und in dieser Gegend einen Belg-Mann finden? Alle Belg-Männer hockten gemütlich vor ihrem Weihnachtsbaum, und ich musste derweil diesen Stadtteil nach dem Veranstaltungssaal De Weyer abkämmen. Wieder vibrierte mein Handy.
    »Elly.«
    »Wo bist du? Es ist neun Uhr!«
    »Ich bin in der Nähe von dem pakistanischen Laden.«
    »Welchem pakistanischen Laden? Wir haben ungefähr eine Million pakistanische
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