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Ueber Den Deister

Ueber Den Deister

Titel: Ueber Den Deister
Autoren: Wolfgang Teltscher
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Volkert das Ziehen bemerkt hatte.
    »Nach einer Stunde kamen wir zurück zum Bootssteg und setzten uns auf die kleine Veranda an der Rückseite des Hauses mit Blick auf das Wasser. Ich habe in der ganzen Zeit kaum etwas gesagt, er begann zu sprechen und meinte, vielleicht wäre es an der Zeit, dass wir uns aussöhnten … vielleicht wäre eine Heirat doch keine so schlechte Idee. Dabei wurde er irgendwie unruhig und fing an zu schwitzen. Er meinte, er fühle sich nicht besonders und wolle sich ein Glas Wasser aus der Küche holen. Er hatte ein bisschen Mühe, von dem Holzsessel aufzustehen, aber dann schaffte er es doch. Er ging ins Haus, und ich blieb draußen sitzen. Ich habe es kaum glauben können, was er gerade gesagt hatte, und war froh, dass er gegangen war, das gab mir Zeit, mir eine Antwort zu über legen.«
    Das Zentrum des Gewittersturms zog weiter nach Osten, hinterließ eine drohende, dunkle Wolkendecke über der Stadt. Der Regen beruhigte sich, ohne aufzuhören, und ging in einen gleichmäßigen Niederschlag über. Vera hatte für einen kurzen Moment geschwiegen, als müsse sie sich auf den nächsten Teil ihres Berichts von Neuem konzentrieren.
    »Ich glaube, ich muss eine gute Viertelstunde so gesessen haben, bis ich mich wunderte, dass Volkert nicht zurückkam. Da bin ich in die Küche gegangen, um zu schauen, was los war. Volkert lag auf dem Fußboden und war tot – jedenfalls atmete er nicht mehr, und ich konnte keinen Puls finden.«
    »Wie haben Sie darauf reagiert? Was haben Sie getan?«
    »Wie soll ich darauf reagiert haben? Ich wusste ja, dass ich dafür verantwortlich war, und es tat mir nicht leid. Ich war mir sicher, dass sein Gerede von Versöhnung und Heirat nur von einer vorübergehenden Verwirrung kam oder ein grausamer Scherz war und dass er es auf keinen Fall wirklich ernst meinte. Mich beschäftigte in diesem Moment vor allem das Problem, wie ich seine Leiche verschwinden lassen konnte. Ich musste schnell handeln und vieles improvisieren … das habe ich Ihnen aber schon erzählt … das war alles so, wie ich es geschildert habe … das Einpacken unserer Sachen, ohne etwas liegen zu lassen … die Heimfahrt nach Holzminden … das Versenken des Autos im Hafen … die Reise nach Föhr … und dabei habe ich immer versucht, so wenig Spuren wie möglich zu hinterlassen. Haben Sie zufällig ein Zigarillo dabei?«
    Hatte sie »Zigarillo« gesagt?
    »Haben Sie ›Zigarillo‹ gesagt? Wieso fragen Sie das? Ich rauche schon seit vielen Jahren nicht mehr und habe weder Zigaretten noch Zigarillos bei mir.«
    »Na ja … hätte es mir ja denken können … es spielt auch keine Rolle. Mir kam nur gerade in den Sinn … ganz früher, als Alfred und ich frisch verheiratet waren, da haben wir uns im Sommer manchmal abends auf den Balkon unserer ersten Wohnung gesetzt … er hat eine Pfeife geraucht und ich einen Zigarillo … da war die Welt noch in Ordnung, und ich war richtig glücklich … manchmal habe ich sogar gedacht: Wenn ich jetzt sterben würde, hätte sich das Leben schon gelohnt.
    Das war alles, was ich sagen wollte, Herr Marder, jetzt bin ich fertig. Ich werde nichts mehr hinzufügen.«
    Vera schwieg. Marder spürte, dass sie auf keine weiteren Fragen antworten würde. Heute ganz sicher nicht, ob in Zukunft, das würde sich zeigen. Er nahm die Kassette aus dem Recorder und steckte sie in die Jackentasche, den Recorder stellte er wieder auf das Regal neben dem Fenster. Nur er und Vera Matuschek wussten, dass er benutzt worden war. Er ging auf Vera Matuschek zu, wollte ihr die Hand zum Abschied geben, sogar einige verständnisvolle Worte sagen. Sie bewegte sich nicht, blickte ihn nicht an, sie schien ganz leer zu sein.
    Marder ging bei Falkenbergs Büro vorbei. Seine Sekretärin sagte, Herr Direktor Falkenberg sei noch in der Sitzung mit dem Minister und es würde wahrscheinlich später Abend werden, bis er ins Büro zurückkäme, wenn überhaupt. Solle sie ihm etwas ausrichten?
    »Nein«, erwiderte Marder. »Teilen Sie ihm nur mit, ich werde ihn morgen früh anrufen und ihm von meiner Unterhaltung mit Vera Matuschek berichten.«

Kapitel 2 6
    Kurz vor acht klingelte der Wecker. Marder verstand das nicht. Er hatte den Wecker am Abend bewusst ausgestellt, weil er spät und müde zu Hause angekommen war. Er hatte sich vorgenommen, so lange zu schlafen, wie es sein Körper verlangte. Erst danach würde er Erich Falkenberg anrufen. Er drehte sich auf die Seite, streckte den rechten Arm aus
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