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Ueber Den Deister

Ueber Den Deister

Titel: Ueber Den Deister
Autoren: Wolfgang Teltscher
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Erst jetzt bemerkte Marder, dass dort eine Plastiktüte abgestellt war. Sie fuhr mit der Hand in die Tüte und holte eine Perücke heraus. Marder erkannte darin die Haare, die Vera am Tag zuvor getragen hatte. Sie zog die Perücke über ihren Kopf und blickte dabei Marder an, als sei er ihr Spiegel. Marder nickte zustimmend, ohne es zu wollen, als Vera die künstliche Haarpracht in die richtige Position gebracht hatte. Die Perücke gibt ihr einen Teil ihrer Würde zurück, dachte Marder, aber sie bleibt trotzdem eine alte Frau, die mit dem Leben abgeschlossen hat.
    »Herr Kommissar, hatten Sie schon mal eine Thrombose?«, fragte Vera unvermittelt.
    Wir nähern uns den Marcumar-Tabletten, dachte Marder. Ich gebe ihr besser eine vernünftige Antwort, damit sie bei diesem Thema bleibt.
    »Ich nicht, aber der Schwager meiner Frau, der hatte schon zwei«, antwortete er. »Er hat glücklicherweise beide überlebt.«
    »So viel Glück hatte der Vater meines Mannes, also der Vater von Alfred, nicht. Er hatte zwei Thrombosen ziemlich schnell hintereinander und ist an der zweiten gestorben, nicht an der Thrombose selbst, sondern an der Lungenembolie, die durch die Thrombose verursacht wurde.«
    »Daran haben Sie sich erinnert, als Sie auf der Couch lagen und voller Hass und Zorn auf Volkert waren?«
    »Ja, wie schon gesagt, die Idee kam mir wie von selbst, als mir die Marcumar-Tabletten im Badezimmer einfielen. Ich wusste, dass Volkert die Tabletten schon seit Jahren nahm, und durch die Krankheit meines Schwiegervaters war mir bekannt, dass sie weitere Thrombosen verhindern sollen. Mir war auch bewusst, dass ein Patient, der diese Medizin plötzlich absetzt, unter Umständen wieder eine Thrombose mit einer Lungenembolie bekommt und daran schnell sterben kann …, obwohl das nicht in jedem Fall so sein muss. Das mit meinem Schwiegervater ist zwar schon ein paar Jahre her, aber mein Mann und ich haben damals öfter ausführlich mit seinem Arzt darüber gesprochen, und deswegen weiß ich über dieses Thema ziemlich gut Bescheid. Aber wie ich schon gesagt habe, es war in dieser Nacht nicht so, dass ich Volkert unbedingt sofort umbringen wollte … es war … erst mal nur so eine Art Gedankenspiel. Ich weiß, das klingt alles ein bisschen verrückt, aber ich war mir in diesem Moment tatsächlich noch nicht hundertprozentig sicher, ob ich es tun sollte oder nicht. Ich meine, die Medizin auszutauschen.«
    Vera schloss die Augen, dachte für ein paar Sekunden nach. Dann öffnete sie ihre Augen wieder, zog ihre Perücke vom Kopf und ließ sie achtlos auf den Fußboden fallen. Sie hatte sich offensichtlich entschlossen, nun die Wahrheit und nichts als die Wahrheit zu erzählen.
    »Ich muss mich korrigieren. Ich glaube heute, dass ich es mir damals schon fest vorgenommen hatte, nur wollte ich es mir noch nicht eingestehen.«
    »Am Ende haben Sie es ja auch getan. Wie sind Sie an die Tabletten gekommen, gegen die Sie das Marcumar ausgetauscht haben?«
    »Wir sind am Montag in die Stadt gefahren, wenn man die paar Häuser in Malilla so nennen kann, um Vorräte für die Woche einzukaufen. Als Volkert getankt hat, habe ich gesagt, ich müsse schnell noch mal in die Drogerie. Die hatten eine Reihe von Tabletten und Pillen, die es dort ohne Rezept gab. Ich habe mir eine Schachtel von denen genommen, die in Größe und Form Marcumar am ähnlichsten sahen. Soweit ich mich erinnern kann, waren es Kopfschmerztabletten. Aber selbst in dem Moment war ich mir noch nicht sicher, ob ich seine Medikamente dagegen austauschen wollte.«
    Es trommelte an die Fensterscheiben. Marder und Vera blickten erschrocken auf. Große Wassertropfen prasselten gegen das Glas. Es würde der erste richtige Regen seit Wochen sein. Die trockene Hitze, unter der Land, Leute und Marder gelitten hatten, war dabei, sich zu verabschieden. Marder konnte an dem gleichmäßig dunklen Himmel erkennen, dass es mehr als nur ein heftiger Schauer war, so wie der vor einer Ewigkeit, als er in Veras Garten gestanden hatte und das Wasser plötzlich auf ihn herabfiel. Nein, dieser Regen brachte den erhofften Wetterumschwung. Es würde auch in diesem Jahr wieder Herbst werden.
    »Was hat endgültig den Ausschlag gegeben, dass Sie die Tabletten vertauscht haben?«
    »Am Montagnachmittag haben wir uns wieder schrecklich gestritten. Als ich gegen Abend einmal in die Küche kam, hatte Volkert ein großes Messer in der Hand; da dachte ich, jetzt macht er Ernst und sticht zu. Er grinste nur und
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