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Ueber Den Deister

Ueber Den Deister

Titel: Ueber Den Deister
Autoren: Wolfgang Teltscher
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Kriminalität mit Bemerkungen, die auf jeden ehrlichen Kriminalbeamten gepasst hätten, und stellten dabei ihre Partei als verantwortlich für die zurückgehende Verbrechensrate im Landkreis Stade dar. Dann erwähnten sie noch, was sie als Nächstes tun würden, um die Kriminalität in der Stadt im Keim zu ersticken, und forderten die Zuhörer auf, ihnen bei den kommenden Wahlen das Vertrauen auszusprechen. Marder fühlte sich trotz der belanglosen Worte geehrt und hatte Verständnis für das Eigenlob der Politiker. Schließlich standen Kommunalwahlen bevor, und es waren mehr als hundert potenzielle Wähler im Saal.
    Die meisten Gäste waren Kollegen, Freunde und Bekannte, dazu seine engere Familie sowie einige ferne Angehörige, die in der Nähe wohnten. Der Saal war gut gefüllt, und Marder freute sich über jeden Einzelnen, der gekommen war. Besonders glücklich war er, dass sein Freund und ehemaliger Chef Erich Falkenberg von der Polizeidirektion in Hannover angereist war – Falkenberg war schließlich Vorgesetzter aller Kriminalbeamten des Landes Niedersachsen. Erich fand bewegende und ehrliche Worte, die seinen Respekt vor Marders Leistungen über vier Jahrzehnte im Dienst der Polizei erkennen ließen, und er machte dabei aus seinem Gefühl der Freundschaft keinen Hehl.
    Nach der Feier hatte sich Marder in ein neues Leben voller Herausforderungen gestürzt. Er hatte sich vorgenommen, seiner Frau nicht durch ganztägige Anwesenheit sieben Mal in der Woche auf die Nerven zu fallen. Vor allem wollte er sich nicht lächerlich machen wie Loriot in seinem Film »Papa ante Portas«, indem er seine Frau als Chefin des Haushalts entmachtete – ein Film, über den man aus vollem Herzen lachen konnte, aber der ein abschreckendes Beispiel war, wenn man an seine eigene Zukunft als zweiter Vorsitzender im Vorstand des Haushalts dachte.
    Seine ersten Schritte in die Freiheit führten ihn in einen italienischen Konversationskurs der Volkshochschule. Er hatte noch Überreste dieser Sprache aus früheren Ferien mit seinen Eltern in der Toskana im Gedächtnis. Außerdem meinte seine Frau, jetzt wäre es endlich an der Zeit, im Urlaub nicht immer nur an die Nordseeküste oder nach Dänemark zu reisen, sie wolle mindestens einmal im Jahr zwei schöne Wochen an den Ufern des Mittelmeers genießen. Nach der Hälfte des Kurses, der vormittags stattfand, stieg Marder wieder aus. Außer ihm hatten sich nur Frauen in reiferem Alter angemeldet. Die Damen ereiferten sich gern über die heutige Jugend und deren fehlendem Respekt »uns Älteren« gegenüber. Diese Diskussion brach regelmäßig eine halbe Stunde nach Beginn der Übungseinheit aus. Die Frauen verfielen dabei voller Empörung in ihre deutsche Muttersprache, von der sie für den Rest des Unterrichts nur schwer in das Italienische zurückfanden.
    Marders Meinung über die Jugend von heute war nicht so negativ, was er gern auf Italienisch gesagt hätte, wenn seine Kenntnisse dazu gereicht hätten. Deutsch wollte er nicht sprechen, deswegen hatte er diesen Kurs nicht belegt. Ihn verließen der Mut und die Lust, den anderen Teilnehmern in unzureichendem Italienisch Widerstand zu leisten. Er zog sich deshalb mithilfe einer kleinen Notlüge aus dem Kreis der Frauen zurück. Als Ausgleich für den nicht beendeten Konversationskurs abonnierte er eine Monatszeitschrift in italienischer Sprache mit grammatischen Übungen.
    Wie in den letzten Jahren seines Berufslebens ging er einmal in der Woche zum Yoga. Yoga war nicht Teil des Neuanfangs im Ruhestand, er nahm es aus dem alten Leben in das neue mit. Die Yoga-Positionen bereiteten seinen Gelenken und Muskeln nach so vielen Jahren des Übens immer noch die gleichen Schmerzen wie in der ersten Übungsstunde. Das beunruhigte ihn nicht, er hatte Yoga stets als Medizin betrachtet – und Medizin muss bitter schmecken, wenn sie wirken soll.
    In einer Apothekenzeitschrift las er einen Artikel, der frischen Ruheständlern dringend empfahl, regelmäßig Sport zu treiben, weil dies den Alterungsprozess des Körpers verzögere und vor allem die Muskulatur stärke. Das fand Marder überzeugend, doch er konnte sich nur schwer entscheiden, welchem Sport er sich zuwenden sollte. Schließlich verfiel er auf Joggen, weil er oft Leute aus der Nachbarschaft sah, die in Trainingsanzügen an seinem Garten vorbeiliefen und dabei schwitzten, aber lächelten. Er fand ein Paar alte Turnschuhe auf einem Regal neben der Weihnachtskiste im Keller und lief los. Er
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