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Ueber Den Deister

Ueber Den Deister

Titel: Ueber Den Deister
Autoren: Wolfgang Teltscher
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letzten gesunden Zähne weg, und dann füllen sie einem den Mund mit ganz neuen. Jetzt sehe ich aus wie vierundsechzig, obwohl ich schon fast fünfundsechzig bin.«
    Sie lachte. Frau Thann hatte ihren Humor nicht verloren.
    »Aber erst einmal willkommen in meiner bescheidenen Hütte. Ich freue mich, dass Sie wieder bei mir einziehen wollen. Schade, dass Sie Ihre Frau nicht mitgebracht haben.«
    Frau Thann war etwas fülliger geworden. Die zusätzlichen Kilos schadeten ihrem Aussehen nicht. Nur ihre lange Hose spannte sich etwas stramm um die Oberschenkel.
    Nachdem Marder sein Zimmer im ersten Stock des Hauses bezogen hatte, nahm er zum Antrittskaffee im Wohnzimmer Platz.
    Der Raum, der gleichzeitig als Frühstückszimmer diente, strahlte immer noch die Gemütlichkeit aus, an die er sich gern erinnerte. Was es genau war, das ihn so heimelig machte, konnte Marder nicht beschreiben. Es war die Mischung von Möbeln, Bildern und Dekorationen, die das Gefühl von Harmonie und Beständigkeit schufen, ohne verstaubt zu wirken. Auf einer Porzellanschale lag ein Dutzend gerollter Waffeln mit Schokoladenüberzug an beiden Enden. Es waren Kekse, die er besonders liebte und die nicht zuletzt ein Grund für sein leichtes Übergewicht waren. Auf dem Weg nach Barsing-hausen hatte er am Ortsrand in der Ebene ein Werk der Firma Bahlsen gesehen, wo diese Kekse vermutlich gebacken wurden.
    »Wo ist Brisbane? Ich habe gehofft, er würde mich be grüßen.«
    Brisbane war der schwarz-weiße Kater des Hauses. Marder hatte sich während seines ersten Besuchs eingebildet, dass der Kater ihn in sein Herz geschlossen hatte.
    »Brisbane ist nicht mehr der Jüngste. Er verbringt mehr und mehr Zeit auf seinem Alterssitz. Das ist der Sessel auf der Veranda, auf dem auch mein Mann in seinen letzten Jahren gern gesessen hat. Wenn Brisbane ausgeschlafen hat – was immer seltener vorkommt –, geht er nach wie vor in den umliegenden Gärten spazieren. Wissen Sie, Herr Marder, ich glaube, der Kater denkt, er sei immer noch der Tyrann der Nachbarschaft. Die anderen Katzen lassen ihn in diesem Glauben, aber bestimmt nicht aus Angst, sondern eher aus Mitleid.«
    Der Kommissar im Ruhestand lächelte. Auch vor ihm hatte niemand mehr Angst. Und zu seinem Erstaunen und Bedauern war die Kriminalität im Raum Stade seit seinem Abschied von der Polizei nicht merklich gestiegen.
    »Warum sollte es ihm besser gehen als uns Männern? Das Verhältnis zwischen meiner Frau und mir ist auch von Mitleid und Großmut ihrerseits geprägt.«
    »Eins noch, Herr Marder. Wenn Sie mit Brisbane reden, sprechen Sie bitte laut und deutlich. Neuerdings hört er schlecht, das Alter nagt auch an seinen Ohren. Nicht, dass Sie denken, er ignoriert Sie.«
    »Iris sagt dasselbe von mir. Sie meint, je älter ich werde, um so weniger höre ich, was sie sagt.«
    Das Gespräch über die alte Katze und das Alter im Allgemeinen war nicht das Einzige, das Frau Thann bewegte.
    »Herr Kommissar – wenn man Sie noch so nennen darf –, ich will Sie lieber gleich etwas fragen, bevor mich die Neugierde auffrisst. Ich könnte wetten, Sie sind nicht nur nach Barsinghausen gekommen, um sich zu erholen. Irgendwie hängt Ihr Besuch mit den Matuscheks zusammen, Ruhestand hin und Pensionierung her.«
    »Jetzt, da Sie den Fall Matuschek erwähnen, kann ich mich wieder vage daran erinnern.«
    Marder lächelte hintergründig, wusste aber, dass er Frau Thann nichts vormachen konnte. Er wollte ihr dennoch nicht gleich verraten, warum er an den Deister gekommen war.
    »Sagen Sie, Frau Thann, was hat man hier im Ort so über Matuschek und seine Familie nach dem Selbstmord geredet?«
    Frau Thann musste nachdenken, eine schnelle Antwort auf diese Frage hatte sie nicht parat.
    »Man hat nicht lange darüber gesprochen. Das lag wahrscheinlich daran, dass die Matuscheks nur wenig Bekannte hatten, richtige Freunde wohl überhaupt keine. Über das ganze Drama wurde am Anfang zwar in der Zeitung berichtet, aber nach dem Artikel über die Beisetzung wurde der Fall in der Presse kaum noch erwähnt.«
    Ein Schatten, ein Ausdruck des Bedauerns, huschte über ihr Gesicht.
    »Es hieß, der Sohn war der Einzige aus der Familie, der zur Beerdigung auf den Friedhof gekommen war. Ob es ferne Verwandte gab, die man hätte informieren können, weiß ich nicht. Ich erinnere mich, dass ein paar Leute von der Polizei und der Feuerwehr dabei waren, sogar der Chef der Kripo aus Hannover soll da gewesen sein. Das habe ich aber alles nur
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