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Tagebuch für Nikolas

Tagebuch für Nikolas

Titel: Tagebuch für Nikolas
Autoren: James Patterson
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    KATIE WILKINSON SASS im warmen Badewasser in der eigenwilligen und wundervoll altmodischen Porzellan-Badewanne in ihrem New Yorker Apartment. Die Wohnung verströmte eine Atmosphäre von Alter und Abnutzung auf eine Weise, die sich die Freunde des »Gammellook« nicht einmal ansatzweise vorzustellen vermochten. Katies Perserkatze Guinevere, die wie ein grauer, zusammengeknüllter Pullover aussah, thronte auf dem Waschbecken. Merlin, ihr schwarzer Labrador, lag auf der Schwelle der Wohnzimmertür. Die Tiere beobachteten Katie, als hätten sie Furcht vor ihr.
    Katie senkte den Kopf, als sie das Tagebuch zu Ende gelesen hatte. Ihr Körper erschauerte, und sie ließ das in Leder gebundene Buch auf den hölzernen Schemel neben der Badewanne sinken.
    Dann brach sie in Tränen aus und sah, dass ihre Hände zitterten. Sie war nahe daran, die Fassung zu verlieren, was nur sehr selten geschah; Katie war stets eine starke Persönlichkeit gewesen. Sie flüsterte Worte, die sie einst in der Kirche ihres Vaters in Asheboro in North Carolina gehört hatte: »O Herr, o Herr, wo bist du, Herr?«
    Sie hätte sich niemals vorstellen können, dass dieser dünne Band so deprimierend und verstörend auf sie wirken würde.
    Doch es war nicht nur das Tagebuch - Suzannes Tagebuch für Nikolas -, das sie so sehr in Verwirrung gestürzt und in eine solche Zwangslage gebracht hatte.
    Katie stellte sich Suzanne vor. Sie sah sie in ihrem kleinen, altmodischen Landhaus an der Beach Road auf der Ferieninsel Martha’s Vineyard.
    Dann den kleinen Nikolas. Zwölf Monate alt, mit strahlend blauen Augen.
    Und schließlich Matt.
    Nikolas’ Daddy.
    Suzannes Ehemann.
    Und Katies einstiger Liebhaber.
    Was dachte sie jetzt über Matt? Würde sie ihm jemals vergeben können? Sie war nicht sicher. Aber wenigstens verstand sie nun endlich einiges von dem, was geschehen war. Das Tagebuch hatte ihr Dinge verraten, die sie wissen musste - bislang unbekannte Bruchstücke und verborgene, schmerzvolle Geheimnisse.
    Katie ließ sich tiefer ins Wasser gleiten und dachte an den Tag zurück, an dem sie das Tagebuch bekommen hatte - an den neunzehnten Juli.
    Und als sie daran dachte, brach sie wieder in Tränen aus.
    AM MORGEN DES neunzehnten Juli war Katie zum Hudson River gefahren, um die Circle Line zu befahren, die Schiffsroute um die Halbinsel Manhattan herum, die sie und Matt damals genommen und bald so sehr genossen hatten, dass sie immer wieder kamen.
    Katie nahm das erste Schiff des Tages. Sie war traurig, aber auch wütend. Herrgott, sie wusste nicht, was sie empfinden sollte.
    Das Schiff war zu dieser frühen Stunde noch nicht von Touristen überlaufen. Sie nahm in der Nähe der Reling auf dem Oberdeck Platz und betrachtete von diesem einzigartigen Aussichtspunkt die Stadt New York und die viel befahrenen Wasserwege.
    Einige andere Fahrgäste bemerkten, dass Katie ganz allein saß, weit weg von den anderen. Besonders Männern fiel es auf, zumal Katie aus der Menge hervorstach. Sie war groß, fast einen Meter achtzig, und besaß warme, freundliche blaue Augen und hatte ihr langes, brünettes Haar geflochten, wie seit ihrem achten Lebensjahr. An Make-up trug sie lediglich ein wenig Mascara und manchmal Lippenstift.
    Sie hatte sich immer für zu groß und schlaksig gehalten und geglaubt, dass die Leute sie deshalb anstarrten, doch ihre Freunde versicherten ihr immer wieder, die Leute würden deshalb schauen, weil Katie sehr attraktiv sei. Katie entgegnete darauf jedes Mal: »Ja, klar, wäre schön, wenn es so wäre.« Sie selbst betrachtete sich nicht als anziehend und wusste, dass sich daran auch nichts ändern würde. Sie war ein ganz gewöhnlicher, vollkommen durchschnittlicher Mensch, im Innern wie im Äußeren. Tief in ihrem Herzen war sie ein Bauernmädchen aus North Carolina.
    Heute trug sie kein Make-up und hatte auch das Haar nicht geflochten. Attraktiv sah sie bestimmt nicht aus.
    Während sie an Deck saß, musste sie an den Film African Queen denken. »Mit Ihrem hochgereckten Kopf, dem vorgestreckten Kinn und dem flatternden Haar im Wind sehen Sie wie das Urbild einer Heldin aus.« So oder ähnlich hatte Bogart sich über die Hepburn lustig gemacht. Es munterte Katie ein wenig auf - »um ‘nen winzigen Schluck«, wie ihre Mutter zu Hause in Asheboro immer sagte.
    Sie hatte stundenlang geweint, und ihre Augen waren verquollen. Am Abend zuvor hatte der Mann, den sie geliebt hatte, plötzlich ihre Beziehung beendet. Katie war wie vor den Kopf
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