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Tagebuch für Nikolas

Tagebuch für Nikolas

Titel: Tagebuch für Nikolas
Autoren: James Patterson
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lang habe ich mich gefragt, ob ich jemals Mutter würde.
    Während dieser Zeit hatte ich einen immer wiederkehrenden Tagtraum, wie wunderbar es wäre - und wie klug -, jedes Jahr für meine Kinder einen kleinen Videofilm zu drehen, um ihnen zu zeigen, wer ich bin, was ich denke, wie sehr ich sie liebe, worum ich mir Sorgen mache und was mich fasziniert oder zum Lachen oder zum Weinen oder auf neue Gedanken gebracht hat. Und natürlich alle meine geheimsten Geheimnisse.
    Hätten mein Vater und meine Mutter solche Videos aufgenommen, um mir zu sagen, wer sie sind und was sie über mich und die Welt denken - ich hätte diese Bänder wie einen Schatz gehütet.
    Wie sich herausgestellt hat, weiß ich nicht, wer meine Eltern sind, und das ist ziemlich traurig. Nein - es ist sehr, sehr traurig.
    Ich werde also jedes Jahr ein Video für dich aufnehmen.
    Aber da ist noch etwas, das ich für dich tun möchte, mein Schatz.
    Ich möchte ein Tagebuch für dich schreiben, dieses
    Tagebuch. Und ich verspreche dir, es immer gewissenhaft zu führen.
    Jetzt, da ich diese allererste Eintragung mache, bist du zwei Wochen alt. Aber ich möchte damit beginnen, dir von einigen Dingen zu berichten, die sich vor deiner Geburt ereignet haben. Ich möchte sozusagen vor dem Anfang anfangen.
    Das hier ist nur für dich, Nick.
    Für dich allein.
    Dieses Tagebuch erzählt davon, was Nikolas, Suzanne und Matt erlebt haben.
    Ich werde an einem warmen, duftenden Frühlingsabend in Boston beginnen.
    Ich arbeitete zu der Zeit im Massachusetts General Hospital. Ich war seit acht Jahren Ärztin. Es gab Augenblicke, die ich liebte und mir bewahrt habe. Wenn ich sah, wie Patienten gesund wurden, zum Beispiel. Und bei einigen sogar, wenn ich bei ihnen war, als sich herausstellte, dass sie sich nie wieder erholen würden. Und es gab Augenblicke, die ich vergessen möchte und die mit der Bürokratie und der hoffnungslosen Unzulänglichkeit des derzeitigen Gesundheitssystems in unserem Land zu tun haben. Aber auch mit meinen eigenen Unzulänglichkeiten.
    Ich kam gerade von einem Vierundzwanzigstunden-dienst einschließlich Bereitschaft zurück. Ich war so müde, wie du es dir nicht einmal vorstellen kannst. Trotzdem führte ich noch meinen vertrauten und treuen Golden Retriever aus - Gustavus, kurz Gus.
    Ich glaube, ich sollte dir ganz kurz schildern, wie ich damals ausgesehen habe, dann kannst du dir ein Bild machen. Ich hatte langes, blondes Haar, war ungefähr eins zweiundsechzig groß, nicht schön, aber leidlich hübsch, und hatte meistens - und für die meisten Mitmenschen - ein freundliches Lächeln auf den Lippen. Auf Äußerlichkeiten war ich nicht allzu sehr bedacht.
    Es war an einem späten Freitagnachmittag, und ich weiß noch, dass es schönes Wetter war, und die Luft war mild und kristallklar. Es war einer dieser Tage, für die ich lebe.
    Ich sehe das alles so deutlich vor mir, als wäre es vor einer Stunde gewesen.
    Gus war losgehetzt, um eine arme, wehrlose Stadtente zu verfolgen, die sich aus der Sicherheit des Teichs gewagt hatte. Wir waren im Boston Common, dem großen Park, in der Nähe der Ruderboote. Das war unser üblicher Spazierweg, besonders wenn mein Freund Michael arbeitete, wie an jenem Abend.
    Gus hatte sich also von seiner Leine losgerissen, und ich lief hinter ihm her. Er ist ein Retriever, wie ich bereits schrieb, ein Apportierhund, der für sein Leben gern Dingen hinterherjagt, um sie dir zu bringen: Bälle, Frisbeescheiben, Papiertüten, Seifenblasen, Spiegelbilder auf den Fensterscheiben meiner Wohnung.
    Während ich Gus hinterherlief, durchfuhr mich plötzlich der schlimmste Schmerz, den ich je im Leben gefühlt habe.
    Mein Gott, was war das?
    Es tat so weh, dass ich auf Hände und Knie fiel.
    Dann wurde es noch schlimmer. Messer, so scharf wie Rasierklingen, schnitten mir in Arme, Rücken, Hals. Ich schnappte nach Luft. Ich konnte kaum atmen. Ich konnte nichts mehr richtig wahrnehmen. Alles um mich herum war verschwommen. Ich konnte unmöglich wissen, was mit mir geschah, doch irgendetwas sagte mir: das Herz.
    Was war los mit mir?
    Ich wollte um Hilfe rufen, aber ich war nicht einmal in der Lage, auch nur ein paar Worte hervorzubringen. Die Bäume im Boston Common, der ganze Park begann sich wie ein Kreisel um mich zu drehen. Besorgt blickende Menschen versammelten sich um mich herum, beugten sich über mich.
    Gus kam zu mir zurückgeschlichen. Ich hörte ihn über meinem Kopf bellen. Dann leckte er meine Wange, aber ich
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