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Staub Im Paradies

Titel: Staub Im Paradies
Autoren: Ernst Solèr
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Mario hört von einer Leiche
    Detektivwachtmeister Mario Fehr blickte auf seine Rado. 9.35 Uhr. Sein Exchef Fred Staub saß wohl bereits im Flieger nach Colombo, um im sri-lankischen Dschungel seine abgöttisch verehrte Tochter zu besuchen. Mario war froh, dass der Alte endlich weg war und nie mehr in die Abteilung Besondere Verfahren zurückkehren würde. Die Verantwortlichen hatten Staub kürzlich zum neuen Kommandanten der Kantonspolizei erkoren, weswegen er nach seiner Reise nach Sri Lanka dann wohl im obersten Stockwerk über seinen ehemaligen Mitarbeitern thronen würde.
    Besondere Verfahren wurde jetzt von Staubs bisherigem Stellvertreter Michael Neidhart geleitet. Der war zwar immerhin um einiges ausgeglichener als Staub, letztlich aber genauso hart und parteiisch wie sein Vorgänger. So hatte sich Michael beispielsweise nicht im Geringsten dagegen gewehrt, dass anstatt Mario ausgerechnet dessen Bürokollegin Gret zur neuen stellvertretenden Chefin der Abteilung befördert wurde. Im Gegenteil. Der ›hübsche Michael‹, so sein Spitzname, hatte dieses Vorgehen sogar öffentlich unterstützt.
    Mario konnte es nicht fassen, dass man ihn derart schnöde übergangen hatte. Abgesehen von dem alten Wirrkopf John Häberli war nämlich eindeutig er der Dienstälteste in der Abteilung. Aber die Verantwortlichen hatten nun mal Gret auserwählt. Ein Affront sondergleichen, auch wenn sie selbst wenig dafür konnte.
    Mario linste durch die getönten Gläser seiner Hugo-Boss-Brille zu ihr hinüber und betrachtete Gret ausgiebig. Sie brütete angestrengt über irgendeinem Bericht. Die Frau war hübsch, besonnen und immer freundlich. Aber trotzdem nicht sein Typ: viel zu ehrgeizig und selbstständig für seinen Geschmack. Im Grunde hatte er im ganzen Gebäude der Kantonspolizei bis heute noch nicht ein einziges weibliches Wesen gesichtet, das ihm zugesagt hätte. Verwunderlich war das nicht. Mario war sich längst darüber im Klaren, dass er bei der Berufswahl komplett danebengegriffen hatte. Polizist zu werden war ein Bubentraum gewesen und mehr nicht – die Arbeit bei der Kriminalpolizei nervte ihn längst zu Tode. Gut, andere träumen davon, Lokomotivführer zu werden, und merken dann bei der fünfhundertsten Fahrt von Zürich nach Eglisau ebenfalls, dass Traum und Realität wenig miteinander zu tun haben. Aber trotzdem, wie hatte es nur so weit kommen können?
    Sein Job bot keinerlei Abenteuer, sondern lediglich ständig neue Verwicklungen, neue Kompetenzstreitigkeiten, neue Frustrationen und am schlimmsten: alle paar Wochen wieder frische Leichen.
    Einen Scheißberuf hatte er sich ausgesucht, genau wie es ihm sein Vater prophezeit hatte. Belastend, verbrauchend und schlecht bezahlt. Sein zwei Jahre jüngerer Bruder verdiente bei der Coop Bank das Dreifache. Ohne Gefahr zu laufen, in der Nacht aus dem Schlaf gerissen zu werden, um im Dreck nach Toten zu wühlen.
    Mario schielte schon seit Längerem nach einer anderen Beschäftigung, doch leider lief man als Polizist auf einem ziemlich toten Gleis. Am ehesten kam wohl noch der Wechsel zu einem privaten Sicherheitsdienst infrage.
    »Alles klar?«, riss ihn Grets Stimme aus seinen Gedanken.
    »Ja, äh, sicher«, stotterte Mario und ärgerte sich wieder einmal über seine eigene Unbeholfenheit. Gret störte sich immerhin nicht daran, wofür er ihr dankbar war – auch wenn sie ihm natürlich trotzdem nie als neue Stellvertreterin hätte vorgezogen werden dürfen.
    Er beobachtete, wie sie sich mit dem Handrücken ihre weißblonden Haare aus dem Gesicht strich, lächelte und die Papiere in ihren Händen zurück auf ihr Pult legte.
    »Staub dürfte wohl bald in Colombo eintreffen«, sagte sie und blickte wehmütig zum Fenster hinaus. »Ich werde ihn vermissen.«
    Na klar, dachte sich Mario, der Alte hatte schließlich auch vom ersten Tag an einen Narren gefressen an der jungen Frau aus Basel. Gerüchteweise war er sogar mehrfach mit ihr ausgegangen.
    »Er kommt ja wieder, wenn auch nicht zurück in unsere Abteilung«, meinte er und Gret nickte abwesend.
    »Lass uns zur Sitzung gehen«, schlug Mario nach einem erneuten Blick auf seine Rado vor. Gret murmelte Zustimmung, schnellte hoch und schritt ihm voran in den Gang hinaus. Ihre Figur war klasse, das musste Mario zugeben: sehr schlank, aber dennoch wohlproportioniert. Und gut zu kleiden wusste sie sich auch. Nur leider hatte sie den falschen Beruf gewählt. Wer will schon eine Polizistin bei sich zu Hause? Besonders eine,
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