Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ueber Den Deister

Ueber Den Deister

Titel: Ueber Den Deister
Autoren: Wolfgang Teltscher
Vom Netzwerk:
dass sie hier zu Hause waren, sie bewegten sich ganz selbstverständlich, der Maschsee ersetzte ihnen den Gartenteich, den sie in ihren Stadtwohnungen nicht haben konnten, oder das Meer, das zu weit entfernt für einen Nachmittagsausflug lag.
    Marder war sich bewusst, dass er die Menschen nach Äußerlichkeiten beurteilte. Ob sie glücklich oder unglücklich, ob sie »gut« oder »böse« waren, das konnte er ihnen nicht ansehen. So wie man es Vera Matuschek nicht ansehen konnte, dass sie am Tod von Volkert schuldig war. Was ging in dieser Frau vor, dass sie erst den Tod ihres Mannes hinnahm, ohne zu versuchen, ihn zu verhindern, und dann den Tod ihres Liebhabers plante? Welches Motiv hatte sie dazu getrieben? Das herauszufinden, war ihm wichtiger, als den genauen Ablauf ihrer Handlungen zu rekonstruieren.
    Vera Matuschek ist eine Frau, in die ich mich nicht hineinversetzen kann, sie ist abgründiger, als ich es geglaubt habe, dachte Marder. Er konnte nicht ausschließen, dass sie mit weiteren Überraschungen aufwarten würde, indem sie ihm Dinge über Volkert und sich selbst erzählte, von denen er bisher nichts ahnte. Er erinnerte sich daran, dass Iris gesagt hatte, sie könne sich nicht vorstellen, dass diese beiden Menschen in der Einsamkeit der schwedischen Wälder friedlich zusammenleben konnten. Später, als er ratlos aus Schweden zurückgekehrt war und ihr erzählt hatte, was er dort gefunden hatte, bestand Iris darauf, dass eine Tragödie geschehen sein musste.
    Sie hatte recht gehabt. Iris wäre wahrscheinlich eine bessere Kriminalbeamtin geworden als er, vor allem wenn es um Delikte ging, in denen Hass, Eifersucht oder missverstandene Liebe eine Rolle spielten.
    Was würde er von Vera Matuschek heute Nachmittag erfahren? Was hatte Volkert ihr angetan, dass sie bereit war, ihn zu töten? War ihr Zorn auf Volkert erst in Schweden entstanden, oder war die Reise nur die letzte Szene eines langen Dramas? Wenn es so war, warum war sie überhaupt mit ihm dorthin gefahren? Wann hatte sie den Mord an Volkert geplant? Vor der Abreise? Nach ihrer Ankunft in Schweden? War ihr bekannt, dass Volkert Medikamente einnahm, die die Gerinnung des Blutes verhinderten? Kannte sie die möglichen Konsequenzen bei einem plötzlichen Entzug dieser Arznei? Woher hatte sie die Tabletten, mit denen sie das Marcumar ersetzt hatte? Warum hatte sie die Plastikdose mit dem »falschen« Marcumar nicht einfach unauffindbar entsorgt, nachdem Volkert gestorben war? Das wäre in der Wildnis um das Haus am See überhaupt kein Problem gewesen. Fragen über Fragen. Wo lagen die Antworten?
    Die Terrasse vor dem Restaurant hatte sich geleert, die Zeit der Mittagspause in den Büros der Innenstadt war vorbei. Zwei Kellner standen abseits im Freien und rauchten eine schnelle Zigarette. Gleich würden sie wieder zu hastigem Hin- und Herlaufen gezwungen sein, wenn die erste Nachmittagsschicht der Kaffeetrinker über die Terrasse herfiel. Marder erhob sich und machte sich zu seinem letzten Gespräch mit Vera Matuschek auf.

Kapitel 2 5
    Vera Matuschek hatte sich dieses Mal nicht erholt, sie war die greise Frau geblieben, die er zurückgelassen hatte. Zweimal schon hatte sie sich in die energische, alles kontrollierende Person zurückverwandelt, aber Marder wusste, dass dieses Mal der Verfall unumkehrbar war. Vera Matuschek war endgültig alt geworden. Sie trug nicht die adrette Kleidung, mit der sie am Tag zuvor das Haus verlassen hatte, als die beiden Kriminalbeamten sie abgeholt hatten, stattdessen war sie mit einer grellgrünen Leinenhose und einer verwaschenen roten Bluse bekleidet. Die Einzelteile der Garderobe passten nicht zusammen, und sie passten nicht zu der Person, die sie trug und die nun gebrochen vor ihm saß. Vera hatte sich nicht geschminkt, sie hatte nicht einmal mehr eine Frisur. Ihr Kopf war nackt, nur ein leichter, unregelmäßiger Haarflaum bedeckte ihr Haupt. Marder erschrak. Er hatte nie bemerkt, dass Vera eine Perücke trug, wenn er ihr begegnet war. Ohne diese Perücke war die Vera Matuschek, die er bisher gekannt hatte, verschwunden.
    Marder saß ihr gegenüber, einen Notizblock und einen Kugelschreiber vor sich auf dem Tisch. Er war unsicher, wie er das Gespräch eröffnen sollte. Schließlich sagte er: »Ich hoffe, es ist Ihnen recht, dass ich mir Notizen mache.«
    Vera schaute ihn an, ihre Augen ließen erkennen, dass ihr der Wille zum Leben abhanden gekommen war.
    »Meine Tochter war heute Morgen hier. Sie hat mir Kleidung
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher