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Ueber Den Deister

Ueber Den Deister

Titel: Ueber Den Deister
Autoren: Wolfgang Teltscher
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Im Schrank daneben standen saubere Gläser. Er ging zu Vera zurück und wartete, bis sie ein Glas Limonade getrunken hatte. Dann fragte er weiter.
    »Frau Matuschek, hat Herr Volkert gewusst, dass Sie eine Perücke tragen?«
    »Meine Haare haben ungefähr ein Jahr vor dem Tod meines Mannes angefangen, auszufallen, ohne dass die Ärzte etwas dagegen machen konnten. Sie waren nicht einmal in der Lage, mir zu sagen, warum das passierte. Als Sie vor zwei Jahren nach Barsinghausen kamen, trug ich bereits eine Perücke. Das wusste nur mein Mann, nicht einmal meine Kinder. Vor Volkert habe ich es zuerst verheimlicht, aber als wir intim wurden, ließ es sich nicht länger verbergen. Aber daran kann es kaum gelegen haben, dass sein Interesse an mir nachließ. Wenn ich vor dem Schlafengehen meine Haare abnahm, dann nahm er seine Zähne aus dem Mund. Für Zuschauer wären wir beide kein besonders attraktives Paar gewesen.«
    Ein zaghaftes Lächeln huschte über Veras Gesicht, das sofort wieder verschwand. Marder versuchte, sich Volkerts eingefallenen Mund vorzustellen, während er mit Vera im Bett lag. Es war kein schönes Bild, lediglich grausam amüsant.
    »Auf der Fahrt haben Sie sich also schon gestritten. Wie ging es in Schweden weiter?«
    »Volkert wurde immer aggressiver und gehässiger. Schon am Sonntagabend war ich so verzweifelt, dass ich am liebsten wieder nach Hause gefahren wäre – aber wie sollte ich ohne ein eigenes Auto aus den Wäldern herauskommen?«
    »Was hat Volkert gesagt oder getan, dass so schlimm war?«
    »Also, er hat mir unzweifelhaft zu verstehen gegeben, dass er nicht bereit war, Verpflichtungen mir gegenüber einzugehen. Mir war von Anfang an bewusst, dass Volkert meine letzte Chance war, einen Lebenspartner zu finden. Schließlich bleibt in meinem Alter nicht mehr viel Zeit dafür. Das hat er wahrscheinlich gespürt und mich lediglich zu seinem eigenem Vergnügen ausgenutzt. Als ich ihm sagte, ich hätte am Anfang das Gefühl gehabt, dass ihm wirklich etwas an mir läge, meinte er verächtlich, er hätte es nicht nötig, sich an eine alte Frau zu binden. Da gebe es noch andere, die hinter ihm her seien. Zum Beispiel eine Kollegin in Holzminden sei ganz verrückt nach ihm. Aber ich denke, damit wollte er nur angeben und mich einschüchtern.«
    Das hoffe ich, dachte Marder, denn sonst wäre Inge in Holzminden eine schamlose Lügnerin.
    »Er wurde dabei unglaublich gemein und verletzend, und zum Schluss habe ich ihn so gehasst, wie ich noch nie einen Menschen gehasst habe. Ich war außer mir und habe ihm voller Wut angedroht, dass ich ihn umbringen würde. Das habe ich in diesem Moment aber nicht wirklich ernst gemeint. Da hat er nur gelacht und geantwortet, er würde mir zuvorkommen, bevor ich ihm etwas tun könnte.«
    »Wer hat, verdammt noch mal, schon wieder meine Limonade aus dem Kühlschrank genommen. Könnt ihr euch keine eigene kaufen?«
    Eine laute Stimme polterte über den Flur. Dann fiel eine Tür krachend ins Schloss, und es herrschte wieder Ruhe. Vera hatte in ihrer Erzählung kurz gestockt, aber sie hatte nicht mitbekommen, worum es bei dem Aufruhr gegangen war, und sprach weiter.
    »Nachdem wir am Sonntagabend nach dem bitteren und lauten Streit schlafen gegangen waren – allerdings habe ich mich im Wohnzimmer auf die Couch gelegt –, war ich total aufgewühlt und konnte meinen Hass auf Volkert kaum beherrschen. Ich wusste, dass ich keine Kraft mehr hatte, mir noch einmal einen anderen Mann zu suchen, während Volkert vermutlich schnell eine Neue finden würde. Irgendwie erschien mir die Vorstellung, Volkert umzubringen, nicht mehr ganz so abwegig wie noch während unserer Ausein andersetzung. Ich war fast so weit, in dem Schuppen neben dem Haus nach einer Axt zu suchen und Volkert damit im Schlaf zu erschlagen. Aber das ging natürlich nicht, dann hätte man vermutlich früher oder später herausgefunden, dass ich ihn umgebracht habe. Trotzdem sagte ich mir immer wieder, die Welt wäre ohne diesen Mann besser dran, und es sei mein Recht, ihn zu bestrafen und mich dafür zu rächen, dass er mich wie eine Hure behandelt hat.
    Plötzlich hatte ich eine Eingebung. Sie kam von ganz allein. Während Volkert schlief, als sei nichts geschehen, habe ich mir in Einzelheiten ausgemalt, wie ich ihn loswerden könnte. Ich war von mir selbst überrascht, dass ich mir vorstellen konnte, einen Menschen zu töten.«
    Während sie das sagte, beugte sich Vera nach rechts und griff unter ihren Stuhl.
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