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Oma packt aus

Oma packt aus

Titel: Oma packt aus
Autoren: Brigitte Kanitz
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1. Erstens kommt es anders
    Es reicht!, dachte ich, lief über den Hof ins Haus und knallte die massive Eichentür so laut zu, dass die roten Backsteine knirschten und das alte Fachwerk knackte. Bildete ich mir jedenfalls ein. Vielleicht erzeugte ich die Geräusche auch selbst, indem ich die zusammengebissenen Zähne aneinanderrieb und die Fingerknöchel dehnte.
    »Lass das nach«, befahl Oma Grete und hob drohend einen knorrigen Zeigefinger. Für die frühe Morgenstunde sah sie schon erschreckend munter aus. Fast wie ein junges Mädchen kam sie die steile Treppe heruntergeglitten und baute sich vor mir auf. Der Zeigefinger wedelte jetzt vor meinem Gesicht hin und her.
    »In meinem Haus werden keine Türen geknallt, ist das klar?«
    Ich verzichtete auf den Hinweis, dass sich die Besitzverhältnisse in der Familie Lüttjens vor Kurzem dramatisch geändert hatten, und klappte den Mund auf, damit meine Zähne nichts mehr zu reiben hatten.
    Grete, die trotz ihrer achtundachtzig Jahre über ein feines Gehör verfügte, war noch nicht fertig mit ihrer Standpauke. »Fingerknöchelknacken ist ungezogen!«, sagte sie stotterfrei.
    Mannomann! Die sprach mit mir wie mit einer Fünfjährigen! Zorn wallte in mir auf.
    Gut so. Er lenkte mich wenigstens von dem anderen Gefühl ab. Es hatte ein bisschen was mit Angst zu tun. Nein, nicht nur ein bisschen; sogar ein bisschen mehr. Deswegen war ich ja eben ins Haus geflüchtet.
    Geflüchtet?
    Hm. Konnte man wohl nicht anders nennen.
    »Und Zähneknirschen gehört sich auch nicht!«
    Ist ja gut!
    »Du hast dich angehört wie damals unsere beste Milchkuh Lotte beim Wiederkäuen.«
    Ich klappte den Mund wieder zu und zwang meine Kiefermuskeln in eine vorübergehende Lähmung.
    Es reicht!, dachte ich zum zweiten Mal innerhalb von zwei Minuten.
    Hätte ich aber besser sein lassen. Musste gleich wieder an meine Flucht ins Haus denken.
    Prompt kroch die blöde Angst unaufhaltsam an meiner Wirbelsäule hoch.
    Eben gerade, als ich aus dem Stall gekommen war, hatte ich ihn wieder entdeckt.
    Den Schatten.
    Unsere beiden Ponys Ernie und Bert hatten mir noch hinterhergewiehert, so als wollten sie sich für den morgendlichen Hafer bedanken, da war mein Blick zum Hoftor gehuscht, und ich hatte genau gesehen, wie etwas Dunkles auf dem Boden schnell zurückgezuckt war. Eindeutig ein Schatten in der noch schräg stehenden Herbstsonne.
    Hätte mir ja nichts weiter dabei gedacht, wenn es das erste Mal gewesen wäre.
    War es aber nicht. Das ging schon seit mindestens einer Woche so.
    Ich hatte mir auch einige Erklärungen zurechtgelegt: Das Storchenpaar vom Dachfirst flog ein paar Ehrenrunden, eine Heidschnucke war aus ihrer Herde ausgebüxt und schaute mal vorbei, Karl Küpper, meine Jugendliebe von nebenan, stellte mir wieder nach, Papa schlich zu einem heimlichen Rendezvous.
    Alles Quatsch.
    Papa hatte Wichtigeres zu tun, zum Beispiel Mama feurige Blicke zuwerfen, was sämtliche Mitglieder der Familie Lüttjens ausgesprochen peinlich fanden, nur die beiden nicht. Mein Bruder Jan vielleicht auch nicht, aber der war von Natur aus besonders tolerant.
    Karl und ich wiederum waren beste Freunde und pflegten die wunderschöne Erinnerung an die Jugendliebe, die uns über Jahre miteinander verbunden hatte.
    Der Schatten gehörte sowieso weder zu einem Tier noch zu einem ausgewachsenen Mann. Da war ich mir sicher, obwohl ich ihn immer nur ganz kurz sah.
    Es war der Schatten einer Frau.
    Definitiv.
    Gruselig.
    Oder bildete ich mir alles nur ein? Hatte ich in meiner Zeit in München mit meiner besten Freundin Sissi zu viele Horror-Abende veranstaltet?
    Das war eines unserer liebsten Hobbys gewesen – nur die Suche nach Mr. Right und Sissis peinliche Leidenschaft für Bollywoodfilme standen noch höher im Kurs. Eng aneinandergekuschelt auf meiner Designercouch, die Augen starr auf den Fernseher gerichtet, die Hände voller Chips. Und dabei hofften wir auf ziemlich unsinnige Wunder. In Bates’ Motel wollte niemand duschen, Freddy Krueger ließ ein Gesichtspeeling machen, und am Telefon sagte eine freundliche Computerstimme: »In sieben Tagen wirst du reich sein.«
    Na ja. Klappte nicht so.
    Trotzdem. Man konnte nie wissen, was so alles auch in der beschaulichen Lüneburger Heide passieren mochte.
    Jetzt überlegte ich fieberhaft. Hatte ich vielleicht irgendwo auch eine Blutspur entdeckt? Dort, wo vorher der Schatten entlanggehuscht war?
    Nee. Eigentlich nicht.
    Ein mürrisches Räuspern brachte mich ins Hier und
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