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Tyrannenmord

Tyrannenmord

Titel: Tyrannenmord
Autoren: Roy Jensen
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Isabell zu. »Jetzt haben wir sie also.«
    »Es ist die Frage, ob wir das überhaupt wollen, Paul«, sagte Isabell.
    »Wie bitte?«, reagierte Schmidt entgeistert. »Was soll das denn jetzt wieder, Isabell? Die Frau gehört ohne Wenn und Aber hinter Schloss und Riegel. Besonders, wenn ich daran denke, dass die unentdeckten Straftaten im übrigen Teil unseres schönen Bundeslandes oft doppelt so hoch sind, als die, die wir mühsam in einem Jahr aufklären. Ich finde das überhaupt nicht mehr witzig. Und in einer Gesellschaft, wo sich ganze Gruppen immer mehr herausnehmen – zum Beispiel die zunehmende Gewalt gegen uns und besonders gegen die Kollegen von der Schutzpolizei –, da braucht es feste Regeln, sonst blüht Anarchie. Irgendein Professor auf der Polizeischule hat da mal ein Gleichnis angeführt, das mir nie mehr aus dem Kopf gegangen ist. Er meinte, dass die Demokratie sich gegenüber einer Diktatur wie ein leicht sinkbares Floß zu einem stabilen Schiff verhalte. Und deswegen sage ich, haben wir in jeder Situation, das, was einst die klugen Väter des Grundgesetzes in die Welt gesetzt haben, zu schützen und zu bewahren.«
    »Das ist alles so im Prinzip absolut richtig, Paul – aber gutes Recht, unbarmherzig angewandt, kann die Quelle unsäglichen, menschlichen Elends werden«, erwiderte Isabell wortgewandt. »Das Zitat stammt übrigens von Heinrich von Sybel, formuliert wohl so um die Mitte des 19. Jahrhundert, und ich meine, dieser Mann hat damit recht!« Isabell hob ihr Glas und lächelte ihren Vorgesetzten an. »Sieh es doch einmal so, Paul. Was hat denn die Long weiter getan, als die Welt um einen kriminellen Bösewicht zu erleichtern, während sie – insbesondere wenn man sich ihre Biografie anschaut – wahrscheinlich ohne sich zu schonen, allzeit ein nützliches Glied in der menschlichen Gesellschaft war.«
    »Ja, aber Isabell, dafür haben wir schließlich die Gesetze, die von unseren Richtern je nach Schwere der Tat, unterschiedlich ausgelegt werden können«, erinnerte Schmidt seine Assistentin. »Ich nehme an, dass ein einfühlsamer Richter Frau Longs Tat nicht mit dem Prädikat ›aus niedrigen Beweggründen‹ versehen wird. Nee, nee, ich glaube, da lassen wir mal besser unsere Finger von, denn das könnte uns Kopf und Kragen kosten. Zumal das nicht die uns zugewiesene Rolle im Spiel um Recht, Gerechtigkeit und Bestrafung ist.«
    »Natürlich … natürlich hast du in allem, was du vorgebracht hast, ohne Frage recht«, räumte Isabell ein. »Aber bedenke mal, wer hat letztlich was davon, wenn der Gesetzestext obsiegt und die Frau einsitzen muss? So kostet sie dem Steuerzahler nur Geld, eine Wiederholung der Tat wird mit Sicherheit nicht stattfinden und in Freiheit wäre sie jemand, der Lebewesen hilfreich beispringt, die nicht zur Krone der Schöpfung gehören und die das Pech hatten, nur als Tiere zur Welt gekommen zu sein.«
    »Gut, gut Isabell, du betonst jetzt sehr den ethischen Standpunkt und lediglich von der Seite gesehen, könnte man vielleicht Gnade vor Recht walten lassen …« Schmidt führte sein Glas an die Lippen, setzte es jedoch, ohne getrunken zu haben, wieder ab. »Und dennoch, Isabell«, beharrte Schmidt erneut auf seinem Standpunkt, »ist und bleibt Longs Tat, Selbstjustiz und das wollen wir hier nicht. Wo kämen wir denn hin, wenn das jeder machen würde.«
    »Du weißt genau, Paul, dass dein letzter Satz – verzeih – ein stammtischspezifisches, verallgemeinerndes Totschlagargument beinhaltet, nur um die Gegenseite ruhigzustellen«, widersprach Isabell ihrem Chef vehement. »Denn es ist natürlich Blödsinn zu behaupten, dass plötzlich alle Menschen auf einmal, alle das Gleiche machen würden. Dazu ist einfach die ganze Fallgeschichte um diese Frau herum viel zu individuell.«
    »Und was machen wir dann mit Raoul Berger? Deiner Argumentation folgend, müssten wir den dann ebenfalls laufen lassen.«
    »Also, die Geschichte um den Mann herum ist bestimmt ebenso tragisch«, antwortete Isabell, »denn er hat ebenfalls nicht aus, wie ich meine, niederen Beweggründen gehandelt. Dennoch sehe ich die Sache hier anders. Die Uneigennützigkeit und die gradlinige Haltung von Erika Long ist für mich einfach etwas ganz Besonderes. Außerdem habe ich auf das Schicksal von Raoul Berger keinen Einfluss mehr, insofern stellt sich die Frage allenfalls noch theoretisch.«
    »Und doch kannst du von mir nicht verlangen, Isabell«, gab Schmidt unbeirrt zu bedenken, »dass ich
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