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Mainfall

Mainfall

Titel: Mainfall
Autoren: Dieter Woelm
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    Niemals werde ich dieses große, rundliche Gesicht des Feuerwehrmannes vergessen, das unter einem dunkelgrauen Helm hervorsah und sich dicht über mich beugte. Seine blauen Augen blickten ernsthaft und entschlossen, die schmalen Lippen waren zusammengepresst, als ob die Entscheidung über Leben oder Tod kurz bevorstand.
    »Gott sei Dank! Er hat das Wasser ausgekotzt«, hörte ich ihn wie aus weiter Ferne zu einem seiner Kameraden sagen. Mir war kalt, eiskalt. Ich zitterte am ganzen Körper, obwohl sie eine Decke über mich gelegt hatten. Ich wusste nicht, wo ich war, wusste überhaupt nichts, glaubte auf einer Wiese zu liegen, in der Nähe einer Brücke. Menschen standen im Kreis um mich herum und starrten mich an. Dann drückte mir der Feuerwehrmann ein Beatmungsgerät auf den Mund und Sterne begannen vor meinen Augen zu tanzen.
    »Wir bringen ihn sofort ins Klinikum«, vernahm ich den Feuerwehrmann, fühlte, dass man mich auf eine Trage legte, die Menge machte eine Gasse frei, man trug mich zwischen den Menschen hindurch, schob mich in einen Rettungswagen, ich hörte die Sirene, sah den Notarzt, spürte den Stich einer Spritze im Arm, dann nichts, Ruhe, weiße Gänge, hastende Schwestern, Ärzte, noch eine Spritze und völlige Leere, bis ich in einem Zimmer wieder zu mir kam, das ich noch nie gesehen hatte, ebenfalls weiß getüncht, mit einem Bettnachbarn, der mich erstaunt ansah.
    »Na, wieder munter?«, fragte er freundlich.
    »Wo bin ich?«, stammelte ich unsicher.
    »Im Krankenhaus, auf der Intensivstation«, antwortete er. »Sie können sich wohl an nichts mehr erinnern …«
    »Nein, an nichts!«
    »Man hat Sie aus dem Main gezogen, Sie wären fast ertrunken. Haben großes Glück gehabt!«
    Gedanken rasten durch meinen Kopf. War ich jemals am Main gewesen? Hatte mich jemand in den Fluss gestoßen? War ich hineingefallen? Wie konnte das passieren?
    »Was ist das für ein Krankenhaus?«
    »Das Klinikum«, antwortete mein Nachbar.
    »Ich meine, wo sind wir?«
    »Auf der Intensivstation. Zur Beobachtung.«
    Mein Bettnachbar schien nicht zu verstehen. Für ihn war alles klar, aber ich wusste absolut nichts.
    »In welcher Stadt?«, wollte ich genauer wissen.
    »In welcher Stadt?«, wiederholte der Mann verwundert. »Wissen Sie denn nicht, wo Sie sind …?« Es war für ihn wohl unglaublich, dass ich keine Ahnung hatte, was passiert war. Fassungslos starrte er mich an.
    »Nein, keine Ahnung! Ich weiß nichts«, antwortete ich, nach wie vor überrascht.
    Es war mir unangenehm, so völlig ahnungslos zu sein. Ich kam mir verdammt dumm und klein vor in diesem weiß getünchten Zimmer, das vollgestopft war mit Apparaten. Mein Blick ging zu meinem Nachbarn, der jetzt nicht mehr lächelte, sondern mich besorgt ansah. Schräg hinter seinem Bett stand ein fahrbarer Wagen mit verschiedenen Geräten. Giftgrüne Kurven flimmerten über einen Monitor. Über seinem Bett hing silbern glänzend eine Flasche, aus der Tropfen für Tropfen eine Flüssigkeit durch eine Plastikkanüle in seinen Arm floss.
    »Wir sind in Aschaffenburg, in Aschaffenburg am Main«, erklärte er. »Bayern, Deutschland«, fügte er hinzu, so als ob er sichergehen wollte, dass ich wirklich verstand. »Ich bin übrigens Max, Max Obermayer«, stellte er sich vor.
    »Freut mich, angenehm«, sagte ich, so wie ich das gewohnt war. »Ich bin …« Auf einmal stockte ich. »Ich bin …«, setzte ich nochmals an, aber ich konnte nicht weitersprechen. Mein Name kam mir nicht über die Lippen, ich suchte im hintersten Winkel meines Gehirns nach ihm, ich wusste, dass er da sein musste, aber ich konnte ihn nicht finden.
    »Schon gut, schon gut«, tröstete mich Max, der offensichtlich meine Verzweiflung bemerkte. »Es wird Ihnen bestimmt wieder einfallen.«
    »Tut mir leid«, stammelte ich ratlos. »Ich kann mich wirklich nicht erinnern.«
    Ich wusste meinen Namen nicht mehr. Konnte mich anstrengen, wie ich wollte, doch er fiel mir einfach nicht ein. Dabei lag mir der Name auf der Zunge. Ich hatte das Gefühl, dass meine Stimmbänder schon zu schwingen begannen, ihn aussprechen wollten, aber sie brachten es nicht fertig, blieben stumm wie die Fische, während ich verzweifelt nachdachte.
    Wie hieß ich?
    Wo kam ich her?
    Wer war ich?
    Nichts! Keine Antwort! Alles wie weggeblasen. Keine Erinnerung. An nichts und niemanden.
    Ratlos lag ich im Bett, beobachtete jetzt die giftgrünen Kurven auf meinem eigenen Monitor und starrte anschließend ratlos gegen die
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