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TS 61: Der Mann mit dem dritten Auge

TS 61: Der Mann mit dem dritten Auge

Titel: TS 61: Der Mann mit dem dritten Auge
Autoren: A. E. van Vogt
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sondern mehr eine Flucht. Niemand außer ihm wußte das. Wem hätte er sein Geheimnis auch anvertrauen können? Wer hätte ihm geglaubt? Außerdem spürte er eine ungewisse Hemmung, die er nicht überwinden konnte.
    Zu Hause hatte er immer das Gefühl gehabt, in unmittelbarer Nachbarschaft der unsichtbaren Höhlenbewohner zu leben. Sie waren nicht sichtbar, aber er hatte sie einmal gesehen, er wußte, daß sie vorhanden waren. Auf der mitten in einer einsamen Prärie gelegenen Farm war es weniger wahrscheinlich, auf derartige Wesen zu stoßen, und deshalb hatte er sich in diese entlegene Gegend zurückgezogen.
    Aber seine Gedanken ließen ihm keine Ruhe. Die langen Gespräche mit Dr. McIver hatten ihm eine neue Welt eröffnet, ihn für neue Gedanken zugänglich gemacht. Früher hätte er über derartige Theorien gelacht und sich seinen nüchternen Geschäften zugewandt, doch sein ungewöhnliches Schicksal hatte ihn aus der Bahn geworfen und in einen völlig neuen Lebensrhythmus gezwungen.
    „Wir sehen, was wir sehen wollen“, sagte er laut vor sich her. „Wir sehen an manchen Dingen vorbei, weil wir sie nicht sehen wollen, weil wir sie für unmöglich halten.“
    Durch die systematischen Übungen war er einmal in einen Zustand geraten, der ihm den Blick in eine neue Welt eröffnet hatte. Warum sollte ihm das nicht noch einmal gelingen? Es gab offenbar Dinge, die nur er sehen konnte. Das Wollen allein genügte nicht. Er hatte als einziger Mensch ein ganz besonderes Auge. Warum sollte es nicht möglich sein, mit diesem Auge besondere Dinge zu sehen?
    Allerdings fürchtete er sich vor der fremden Welt, die ihm den Verstand zu verwirren drohte. Er wollte eigentlich nur richtig sehen können und machte deshalb die langwierigen Übungen.
    Der Fortschritt, den er bereits erzielt hatte, stimmte ihn zuversichtlich. Er war davon überzeugt, daß er seine Augen durch intensives Training normalsichtig machen konnte. Er hatte nun allerdings drei Augen, was die Aufgabe wesentlich erschwerte, denn das Gehirn mußte sich ja erst an das dritte Auge gewöhnen. Mit seinen beiden normalen Augen hatte Slade keine besonderen Schwierigkeiten, aber das dritte Auge funktionierte nur gelegentlich, ohne daß dafür eine besondere Ursache zu erkennen war.
    Wahrscheinlich ist mein Gehirn daran schuld, dachte er. Das Stirnauge ist durchaus funktionsfähig, aber die Nervenbahnen sind gelähmt oder noch nicht genügend aktiviert.
    Immer wieder hielt er sich die beiden normalen Augen zu und starrte mit dem Stirnauge auf die Tafeln, doch das Ergebnis war mehr als kläglich. Sein Gehirn weigerte sich einfach, das von dem dritten Auge aufgenommene Bild zu verarbeiten.
    Vielleicht bin ich zu angespannt, dachte er. Ich muß mich entspannen und überhaupt nicht an das Hauptproblem denken. Vielleicht gelingt mir das, wenn ich an besonders angenehme Kindheitserinnerungen denke. Hier auf der Farm erinnert mich jeder Baum, jeder Strauch an bestimmte Erlebnisse. Ich muß mich in die damalige Stimmung zurückversetzen und die Gegenwart vergessen.
    Da war der leise murmelnde Bach, an dessen Ufern noch immer die Sträucher standen, in denen er sich früher so oft versteckt hatte; da war die ferne Straße, über die flitzende Autos nach Süden rollten. Das Gras, das er mit seinem kleinen Knabenkörper niedergedrückt hatte, stand nun hoch und saftig grün. Er kniete nieder und atmete den frischen Duft der saftstrotzenden Halme ein; er preßte sein Gesicht auf die kühle Erde und spürte förmlich, wie eine große Ruhe in seine Seele einzog.
    In den vergangenen Monaten hatte er sich wirklich überanstrengt. Er war müde und abgespannt, litt aber gleichzeitig unter einer inneren Spannung, die ihn in eine ewige Unruhe versetzte.
    Bin ich wirklich ein Narr? fragte er sich. Ich hätte diese Spannungen doch verhindern können. Der Krankenhausarzt hätte den Hautlappen gleich nach dem Unfall wieder an seine alte Stelle nähen können, und all die unangenehmen Folgen wären nicht eingetreten. Meine Frau hätte mich nicht verlassen, und ich hätte noch Freunde. Jetzt bin ich allein, denn die Leute fürchten sich vor mir. Ich gehöre nicht mehr zur Norm, ich bin ein Außenseiter, und Außenseiter sind immer verdächtig. Warum habe ich eigentlich darauf bestanden, das dritte Auge zu behalten?
    Eine endlose Kette von Gedanken fieberten durch sein Gehirn, aber Slade war dabei ganz ruhig und betrachtete die Dinge fast wie ein Außenstehender. Hatte er wirklich eine fremde
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