Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Boss

Der Boss

Titel: Der Boss
Autoren: Moritz Netenjakob
Vom Netzwerk:
[Menü]
1
    Noch 6 Wochen, 2 Tage, 1 Stunde, 20 Minuten
bis zur Hochzeit.
    »Unsere Flitterwochen-Top-3 sind: Seychellen, Malediven und Hawaii.«
    Kenan, der smarte Geschäftsführer von Ünül Tours , fährt sich durch seine gegelten schwarzen Haare und schaut meine Verlobte Aylin und mich erwartungsvoll an. Kenan trägt ein schwarzes Hemd mit silbernen Applikationen, einen Dreitagebart mit orientalischem Muster – und ist natürlich ein Familienmitglied. Wir Deutschen machen möglichst keine Geschäfte mit der Familie. Türken machen möglichst keine Geschäfte ohne die Familie.
    »Aber auch die Bahamas und Thailand sind sehr beliebt. Oder Barbados, Bali, Mexiko …«
    Aylin lächelt mich an. Eigentlich ist mir völlig egal, wo sie mich anlächelt – mit ihr würde ich meine Flitterwochen sogar in der Gartenabteilung der OBI – Filiale Bitterfeld verbringen. Kenan dagegen scheint uns beweisen zu wollen, dass er alle Fernreiseziele des TUI – Katalogs auswendig kennt:
    »… Mauritius, Kenia, Jamaika, Kuba, Dominikanische Republik, Südafrika, Australien …«
    Ich hasse diese totale Wahlfreiheit. Immer kriegt man das Gefühl, man verpasst irgendwas. Es fällt mir schon schwer, mich im Restaurant für ein Essen zu entscheiden. Inzwischen habe ich ein System: Ich bestelle beim Italiener immer Pizza Funghi, in Bistros immer Salat mit Putenbrust und beim Chinesen grundsätzlich die M8. Egal, was es ist. Einmal, im China-Restaurant »Goldener Drache« in Bergisch Gladbach, gab es keine M8. Ich habe also gefragt, ob sich der Koch eine M8 für mich ausdenken kann – aber der Chinese an sich ist wenig flexibel, was die freie Interpretation von Speisekarten betrifft.
    Aylin legt die Hand auf mein Bein – eine Berührung, die auch fast vier Monate nach unserem ersten Kuss noch dazu führt, dass mein Herz einen Sprung macht.
    »Was meinst du denn, Daniel?«
    »Hmm … auf den Seychellen haben wir weißen Sand und türkisblaues Meer. Die Malediven zeichnen sich eher durch türkisblaues Meer und weißen Sand aus, während Mauritius vor allem weißen Sand hat, aber auch türkisblaues Meer.«
    »Tja, bei so unterschiedlichen Optionen machen wir am besten eine Pro-und-Kontra-Liste.«
    Aylin und ich grinsen uns an und lachen nur deshalb nicht laut los, weil wir merken, dass Ünül-Tours-Kenan sich ein klein wenig verarscht fühlt. Und wir wollen ihn nicht verletzen, schließlich ist er Aylins Cousin. Das hat für Türken eine emotionale Bedeutung, die für Deutsche nur mit der Mutterbindung kurz nach der Geburt vergleichbar ist.
    Ich beschließe, Kenan den Schwarzen Peter zuzuschieben:
    »Was würdest du uns denn empfehlen?«
    Kenan zögert nicht den Bruchteil einer Sekunde:
    »Auf jeden Fall Malediven. Kein Zweifel.«
    Ich bin mal wieder beeindruckt. Türkische Männer zweifeln einfach nie an irgendetwas. Ich habe die Worte »Kein Zweifel« nur ein einziges Mal in meinem Leben benutzt: als mich meine erste Freundin gefragt hat, ob ich mit 22 Jahren wirklich noch nie Sex hatte.
    Eigentlich finde ich Zweifel ganz sympathisch. Ich habe sogar Spaß daran, mir gelegentlich auszumalen, wie mein Leben wohl verlaufen würde, wenn ich beim Chinesen zukünftig statt der M8 die M7 bestelle. Und ich weiß auch: Aylin liebt mich, weil ich eben kein Macho bin.
    »Also Malediven? Was meinst du, Aylin?«
    »Klingt gut. Was meinst du denn?«
    »Ich habe zuerst gefragt.«
    »Ich habe ja gesagt, es klingt gut.«
    »Also Malediven. Oder nicht?«
    »Weiß nicht.«
    »Wieso, du hast doch gesagt, es klingt gut.«
    »Klar. Aber du hast noch gar nichts gesagt, Daniel.«
    »Es klingt auf jeden Fall gut. Aber du hast gesagt: weiß nicht.«
    »Ja, weil du noch nichts gesagt hast.«
    »Jetzt hab ich’s ja gesagt.«
    »Was?«
    »Na, dass ich auch finde, dass es gut klingt.«
    »Okay.«
    »Also Malediven.«
    »Ja.«
    »Oder lieber Seychellen?«
    »Weiß nicht.«
    So was passiert nicht zum ersten Mal. Einmal haben Aylin und ich eine halbe Stunde vor dem Kino gestanden und konnten uns nicht zwischen Willkommen bei den Sch’tis und Kung Fu Panda entscheiden. Es war vielleicht ein Fehler, dass wir uns dann eine Dokumentation über Leni Riefenstahl reingezogen haben, aber wenigstens war es ein gemeinsamer Fehler.
    Doch Ünül-Tours-Kenan scheint wenig Verständnis für die Schwierigkeiten der Entscheidungsfindung in einer gleichberechtigten Partnerschaft zu haben und schaut mich mit einem »Bist-du-sicher-dass-du-nicht-schwul-bist«-Blick an. Als ein
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher