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Der Boss

Der Boss

Titel: Der Boss
Autoren: Moritz Netenjakob
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hatte so was nie für bare Münze genommen. Aber inzwischen fand ich es eigentlich ganz lustig, zumal Emine immer etwas Positives für Aylin und mich gesehen hatte. Umso irritierter war ich jetzt:
    »Moment, das kann doch gar nicht sein. Letzte Woche hast du noch gesagt: ›Alles wird gut.‹ Wenn wir also davon ausgehen,dass der Kaffeesatz die Wahrheit sagt, liegt hier ein logischer Fehler.«
    »Daniel, geht nicht um Fehler. Kaffeesatz ist einfach Medium.«
    »Ja, aber ein fehlerhaftes Medium. Wir haben zwei Aussagen. Erstens: ›Alles wird gut.‹ Zweitens: ›Ich sehe Schwierigkeiten.‹ Diese Aussagen widersprechen sich.«
    »Ich sage nur, was ich sehe. Sehe ich Widerspruch, sage ich auch. Ist aber nicht Widerspruch.«
    »Und warum nicht?«
    »Weil alles ist wahr.«
    »Ach so. Das leuchtet natürlich ein.«
    Man sollte immer versuchen, die Bereiche Kaffeesatzlesen und logisches Argumentieren voneinander zu trennen. Tante Emine bekam einen mitfühlend lächelnden, weisen Gesichtsausdruck wie Yoda aus Star Wars .
    »Du musst nicht Angst haben, Daniel.«
    Eigentlich hätte sie »Keine Angst haben er muss« sagen sollen. Aber ich war viel zu beunruhigt, um mir über solche sprachlichen Feinheiten Gedanken machen zu können.
    Seit dieser Vorhersage sind zwei Wochen vergangen, und es ist noch nichts Schlimmes passiert – abgesehen von einer neuen Staffel Germany’s next Topmodel . Bis zur Hochzeit sind es noch sechs Wochen, und dann kann mich kein Kaffeesatz der Welt mehr von meiner Lieblingsfrau trennen.
    In diesem Moment wird mir schlagartig bewusst, dass mich sowohl Aylin als auch Ünül-Tours-Kenan erwartungsvoll anschauen. Adrenalin schießt durch meinen Körper, und ich höre mich sagen:
    »Wir nehmen die Seychellen.«
    »Okay. Wie ihr wollt.«
    Kenans Unterton war beleidigt, aber auch mit einer winzigen Prise Respekt, dass ich endlich eine Entscheidung getroffen habe. Jawohl, das habe ich. Ich bin jetzt der Boss!
    Während Kenan unsere Daten in den Computer eintippt, erscheint Tante Emine im Reisebüro, aber nicht die Kaffeesatzlese-Emine, sondern eine der beiden anderen Emine-Tanten, die nichtmit der Cousine Emine und schon gar nicht mit den vier Emine-Großcousinen verwechselt werden darf. Diese Tante Emine ist auf irgendeine Art auch mit Kenan verwandt, aber da blicke ich nicht mehr durch. Ach ja, sie ist seine Mutter.
    Aylin kreischt vor Freude, als sie ihre Tante sieht, umarmt sie und küsst sie auf die Wangen. Das Zur-Begrüßung-vor-Freude-Kreischen hat bei türkischen Frauen keine besondere Bedeutung, vielmehr ist das Nicht -vor-Freude-Kreischen eine grobe Respektlosigkeit.
    Da Kenan und ich als Männer nicht verpflichtet sind, vor Freude zu kreischen, begrüßen wir Tante Emine mit einfachen Wangenküssen. Kenan geht zu einem Medizinschrank, der direkt neben den TUI – Prospekten steht, und holt seiner Mutter eine Schachtel heraus:
    »Hier, deine Tabletten.«
    »Oh, danke, du bist eine Engel, vallaha, die habe ich gebraucht. Ich habe Schmerzen überall, vallaha.«
    Ich bin erneut perplex:
    »Medikamente verkaufst du auch?«
    »Nur Schmerzmittel und Schlafmittel.«
    Ich schaue auf die Packung.
    »Aber das Mittel ist gegen hohen Blutdruck.«
    »Ja, manchmal kommen Schmerzen auch von hohem Blutdruck.«
    Ich sage lieber nichts. Vielleicht war ja bei der Ausbildung zum Reisekaufmann ein Medizinstudium inklusive, wer weiß. Tante Emine lässt sich sowieso nicht beirren.
    »Mittel hat vor zwei Jahren geholfen meiner Schwester. Jetzt hilft mir auch garantiert.«
    »Und was hatte deine Schwester?«
    »Irgendwelche Schmerzen.«
    »Aber, äh, ohne Kenans Fachwissen in Zweifel zu ziehen … Vielleicht solltest du doch lieber zu einem Arzt …«
    »Ach, Unsinn, Ärzte nehme nur Geld und wisse gar nix. Ich nehme Medizin, und wenn nicht besser wird, nehme ich andere Medizin. Hauptsache, ich nehme Medizin.«
    Diese Einstellung der Türken zu Medikamenten ist mir bekannt, seit sich Aylins Onkel Mustafa gegen einen offensichtlich allergischen Hautausschlag insgesamt zehn Aspirin-Tabletten eingeworfen hat. Der Hautausschlag ist irgendwann von alleine verschwunden, und seitdem gilt Aspirin in Aylins Familie als Antiallergikum.
    Tante Emine hat sich aus einem Wasserspender am Eingang einen Becher genommen und schluckt jetzt zwei Tabletten – natürlich ohne die Packungsbeilage zu lesen. Dann wendet sie sich an Aylin.
    »Und? Was machen hier?«
    »Wir buchen unsere Hochzeitsreise.«
    »Aha. Und wo geht hin?«
    »Auf
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