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Der Boss

Der Boss

Titel: Der Boss
Autoren: Moritz Netenjakob
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Wangen begrüßt werden. Meine Eltern haben sich inzwischen an das Kuss-Ritual zur Begrüßung gewöhnt – und wenn mein Vater nicht während des Küssens auch noch die Hände schütteln würde, wäre alles perfekt.
    Ich sehe Aylin, die mit Stiefeln, schwarzem Minikleid und silbernem Schmuck mal wieder so umwerfend aussieht, dass ich sie am liebsten sofort auffressen würde – wüsste ich nicht inzwischen, dass Türken auf die richtige Reihenfolge Wert legen. Und so begrüße ich
Herrn Denizo ğ lu
Frau Denizo ğ lu
Bruder Cem
Aylin
    Während Cem bereits am Esstisch sitzt und auf seinem iPhone eine türkische Telenovela verfolgt, hat Frau Denizo ğ lu ein vielfarbig schimmerndes Etwas aus einer Plastiktüte gezogen und meiner Mutter in die Hand gedrückt, das sich bei näherem Hinsehen als die wohl kitschigste Weihnachtskrippe aller Zeiten entpuppt: Ein rosa glitzerndes Christkind mit goldenem Heiligenschein liegt in einer silbernen Krippe – und auch für Josef, Maria, die drei Könige, Kühe, Schafe und Esel wurden sämtliche schillerndenPastelltöne verwendet, die die Palette hergibt. Während das Dach des Stalls aus blassrosa eingefärbten Muscheln besteht, sind die Wände lückenlos mit goldenen Perlen besetzt. Kurz, eine Krippe, zu der selbst die katholischste Dorf-Mama in Süditalien gesagt hätte: »Nee, das ist echt drüber.«
    Schon vor drei Monaten, als sie den Stoff-Harlekin bekam, musste meine Mutter einen Würgereflex bekämpfen. Diesmal ist es schlimmer. Ich glaube, meine Eltern hätten sich sogar über die Reichskriegsflagge mehr gefreut. Frau Denizo ğ lu hält die Bestürzung in den Augen meiner Eltern für Ehrfurcht und preist ihr Geschenk an:
    »Vallaha, ich finde auch unheimlich schön. Das ist schönste Krippe aller Zeiten!«
    Meine Mutter ringt immer noch mit der Fassung:
    »Also, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Das ist so … so …«
    Sie wird kreidebleich. Frau Denizo ğ lu dagegen kann ihre Begeisterung kaum zügeln:
    »Vallaha, ist wirklich wunderschön. Ist doch wunderschön, oder Frau Hageberger?!«
    »Tja …«
    »Vallaha, wunderschön. Ich hätte so gerne selbst behalten, aber …«
    Plötzlich wittert meine Mutter eine Chance:
    »Sie wollten sie selbst behalten?!«
    »Ja, aber habe ich dann gedacht: Nein, für Daniels Eltern kann gar nicht sein schön genug.«
    »Ich glaube, ich kann das gar nicht annehmen, wenn Sie es eigentlich selbst behalten wollen.«
    »Sie sind zu nett, Frau Hageberger. Aber kommt wirklich von meine ganze Herz.«
    »Aber Sie würden mir eine große Freude machen, wenn Sie die Krippe wieder mitnehmen … Weil sie Ihnen doch so gut gefällt.«
    Sie drückt Aylins Mutter die Krippe in die Hand. Die gibt ihr die Krippe wieder zurück.
    »Auf gar keine Fall.«
    Meine Mutter gibt die Krippe noch einmal Frau Denizo ğ lu, nur um sie postwendend zurückzubekommen. Ich habe etwasÄhnliches vor einiger Zeit in Antalya mit einer Rosenverkäuferin erlebt. Deshalb weiß ich: Meine Mutter hat keine Chance. Irgendwie macht es mir Spaß, sie leiden zu sehen. Das sollte ich in meiner nächsten Therapiesitzung erwähnen. Erneut wandert die Krippe zwischen Frau Denizo ğ lu und meiner Mutter hin und her.
    »Ich bitte Sie, Frau Denizo ğ lu!«
    »Kommt gar nicht in die Frage.«
    »Es würde mir viel bedeuten. Sie wissen gar nicht, wie viel.«
    »Sie haben eine große Herz, Frau Hageberger.«
    »Genau. Und deshalb möchte ich, dass Sie die Krippe wieder mit nach Hause nehmen.«
    »Aber ich habe auch eine große Herz. Deshalb, Krippe bleibt hier.«
    »Bitte nicht.«
    »Keine Diskussion.«
    »Was kann ich tun, damit Sie die Krippe nehmen?«
    »Gar nix.«
    »Gar nix?«
    »Gar nix. Pass auf, ich suche jetzt gute Platz.«
    Frau Denizo ğ lu schnappt sich die Krippe und spaziert mit ihr ins Wohnzimmer. Meine Eltern schauen mit angstgeweiteten Augen hinterher. So ähnlich müssen im 16. Jahrhundert die Serben geguckt haben, als das osmanische Heer Belgrad erstürmt hat.
    Aylin lächelt mir entschuldigend zu. Sie kann mit dem Kitsch ihrer Mutter ebenso wenig anfangen wie ich mit modernen Theaterinszenierungen. Herr Denizo ğ lu hat wahrscheinlich einen inneren Spam-Filter für derartige Objekte, denn einerseits quillt seine Wohnung über von diesem Pastell-Glitzer-Nippes, andererseits kann ein heterosexueller Mann so etwas auf gar keinen Fall schön finden.
    Frau Denizo ğ lu ist im Wohnzimmer so mit der Suche nach einem geeigneten Krippen-Platz beschäftigt, dass sie
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