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Akte X Novel

Akte X Novel

Titel: Akte X Novel
Autoren: Heilige Asche
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    Die rote Miniaturlokomotive ließ eifrig dampfend ihr Pfeifen ertönen, als der Zug um die Biegung kam, die Messingbeschläge funkelten in der Sonne. Die Waggons waren vollgestopft mit lachenden und winkenden Kindern, die den Tag im Lincoln Park nach Kräften genossen.
    Ein dunkelhaariger Junge stand an dem Zaun, der die Geleise von dem Gelände des Vergnügungsparks abgrenzte, und beobachtete ohne Anzeichen von Freude oder Fröhlichkeit, wie der Miniaturzug vorbeirollte. An einer silbernen Schnur, die der Junge in der Hand hielt, schaukelte ein rosa Heliumballon über seinem Kopf im Wind.
    Der Name des Jungen war Charlie Holvey, und er sah aus, als ob all die Freuden, die Lincoln Park zu bieten hatte, ihm nicht das geringste bedeuteten - als ob irgendein geheimer Kummer tief in seinem Innern ihn davon abhielt, je wieder zu lachen.
    „Charlie!"
    Jemand rief seinen Namen, und er drehte sich nach der Stimme um. Maggie Holvey, seine Mutter, winkte ihn zu sich heran. Neben ihr stand sein kleiner Bruder Teddy mit seinen hellen blonden Haaren. Er lachte, ein fröhliches Kind, ganz anders als Charlie mit seinem mürrischen Gesichtsausdruck. Teddy hielt ebenfalls einen Ballon an einer silbernen Schnur fest. Seine Mutter dirigierte ihn an einem Riemen, der an einem sicher um den Körper des Zweijährigen geschnallten Haltegurt befestigt war.
    „Komm schon, Charlie!" rief Maggie, aus deren Stimme auch nach fast zehn Jahren in Amerika der rumänische Akzent nicht ganz verschwunden war. Aber solange sie schwieg, wirkte sie wie jede andere amerikanische Mutter.
    Charlie sah sie an, ohne sich zu rühren, und beobachtete Teddy. Plötzlich lächelte der Kleine und watschelte von Maggie weg auf jemanden zu, der durch die Menge der vorbeigehenden Eltern und Kinder näher kam. Steve Holvey, der Vater der beiden Kinder, trug in jeder Hand zwei Eistüten.
    „Charlie ... he! Hier ist ein Eis für dich!" rief Steve. Doch selbst Eis schien Charlie nicht zu interessieren. Mit ausdruckslosem Gesicht trottete er hinüber zu seinem Vater, seiner Mutter und seinem kleinen Bruder und zog den über seinem Kopf schwankenden Ballon hinter sich her.
    Im Gegensatz zu Charlie hatte Teddy großes Interesse an dem Eis und griff ein wenig zu schnell danach. Das Laufen war für ihn immer noch ein wenig ungewohnt, und die Koordination von Ballon und Eistüte erwies sich als zu schwierig. Mit einem Aufschrei fiel er vornüber und schmierte sich dabei das Eis über das greinende Gesicht, von dem das Lächeln verschwunden war. Der Ballon entglitt seinen Fingern, stieg hinauf in den Himmel und wurde vom Wind nach Norden getrieben.
    „Still, Teddy, nicht weinen!" sagte Maggie beschwichtigend, während sie ihren Jüngsten vom Boden hochnahm. „Wir holen dir einen neuen Ballon, mein Schatz."
    Versprechungen bedeuten einem Zweijährigen wenig. Teddy hörte nicht auf zu heulen, und das Schokoladeneis auf seinem Gesicht vermischte sich mit Tränen. Steve dachte nur daran, wie er ihn dazu bringen könnte, mit dem Weinen aufzuhören, als er nach Charlies Ballon griff und ihn Teddy in die Hand drückte.
    „Schau. Hier ist ein Ballon."
    Wie durch Zauberei verstummte Teddy mitten in einem langgezogenen Klagegeheul, als der silberne Ring am Ende der Schnur wieder sicher in seiner mit Babyspeck gepolsterten Hand lag und der Ballon über ihm schwebte. Charlie sah zu, und zum ersten Mal ging ein Anflug einer inneren Regung über sein Gesicht. „Wie siehst du aus!" rief Maggie und blickte auf ihren kleinen, schokoladenverschmierten Sohn hinab. „Wir müssen dich saubermachen. Steven ..."
    „Ja, sicher ... geh nur. Charlie und ich warten auf euch", erwiderte Steve und seufzte vor Erleichterung darüber, daß die Katastrophe sich so leicht hatte abwenden lassen. Als er merkte, daß er immer noch drei Eistüten in der Hand hatte, hielt er eine davon Charlie hin.
    „Iß dein Eis, bevor es schmilzt!"
Charlie rührte sich nicht, ließ die Hände herabhängen und ignorierte die Eistüte vor seinem Gesicht. „Ich will meinen Ballon."
„Ja. Okay. Wir kaufen dir einen neuen Ballon."
„Nein", sagte Charlie heftig. „Ich will meinen Ballon."
    „Verstehst du nicht? Wir kaufen dir einen anderen Ballon!" rief Steve, aber Charlie wollte das Eis immer noch nicht nehmen. Schließlich zuckte Steve die Achseln, warf alle drei Eistüten in einen Abfalleimer und murmelte etwas von Geldverschwendung. Wenn ihnen nicht das eine Kind den Ausflug verdarb, dann tat es bestimmt das
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