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TS 10: Das vertauschte Ich

TS 10: Das vertauschte Ich

Titel: TS 10: Das vertauschte Ich
Autoren: Jerry Sohl
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das erste herzhafte Lachen in mehr als drei Tagen war. »Ich nehme an, ich sah wie ein werdender Vater aus.«
    »Der Vergleich ist nicht übel, obwohl Sie dann nicht hier warten müßten. Hier im dritten Stock werden nur schwierigere Operationen ausgeführt.«
    Ihre dunkelbraunen Augen wandten sich wieder den Karten zu. Carl blieb nichts anderes übrig, als wieder die Uhr zu beobachten. Langsam rückte der kleine Zeiger auf die Zehn vor. Mit jeder Minute, die verging, wurde das Warten unerträglicher.
    Plötzlich entstand Bewegung am Ende des Korridors. Die großen Türen des Operationssaals öffneten sich, und zwei weißgekleidete Gestalten mit Masken vor dem Gesicht schoben eine Bahre auf lautlosen Gummirädern heraus. Unter einem weißen Leinentuch lag ein Körper.
    Carl ging der Bahre entgegen. Er fühlte sich etwas schwindlig und mußte sich gewaltsam zur Ruhe zwingen. Er wollte einige Worte zu den Leuten sagen, sie etwas fragen, aber als sie näher kamen, war seine Kehle wie ausgetrocknet. Er preßte sich an die Wand, während sie vorüberfuhren. Er konnte seine Augen von dem Körper auf der Bahre einfach nicht loslösen.
    Es war sein Vater. Kein Zweifel. Aber sein Gesicht war nicht länger blaugrün. Es war leicht gerötet, und auf der Stirn standen kleine Schweißtropfen.
    Einen Augenblick lang stand er noch steif da. Nur seine Augen folgten den weißgekleideten Männern auf ihrem Weg den Korridor hinunter. Dann riß er sich zusammen und ging ihnen nach.
    Die Ärzte und Schwestern, die Bradley Kempton in sein Bett legten, sagten einige Worte, aber Carl antwortete nur einsilbig. Und später konnte er sich auch nicht mehr erinnern, was sie zu ihm gesagt hatten. Als die Leute das Zimmer verlassen hatten, setzte sich Carl still hin und beobachtete seinen Vater. Aber Bradley Kempton rührte sich nicht.
    Die Stille des Raumes bedrückte ihn etwas. Nur das Geräusch regelmäßiger Atemzüge war zu hören. Er erwartete, daß seines Vaters Antlitz ein Zeichen des Erwachens zeigen würde, aber die einzige Bewegung, die er sah, war das rhythmische Heben und Senken der Brust.
    Carl wußte nicht, wann sich die Augen seines Vaters geöffnet hatten. Möglicherweise war er ein wenig eingenickt gewesen, und sein Vater hatte ihn schon lange schweigend angesehen. Möglicherweise hatte er sie auch gerade in dem Moment ertappt, als die Lider sich zum ersten Male hoben. Er war sich nur bewußt, daß er plötzlich von einer Sekunde auf die andere in die Augen seines Vaters starrte, Augen, die verständlicherweise etwas überrascht und verwirrt dreinblickten. Carl konnte sich nicht erinnern, seines Vaters Augen jemals so groß und leuchtend gesehen zu haben, aber wahrscheinlich war das nur eine Täuschung, weil sie der einzige Teil des Gesichtes waren, der sich bis jetzt bewegt hatte.
    Einen Augenblick lang schien ein seltsam fremdes Licht über sie hinwegzuhuschen. Ein Blick war in diesen Augen, den Carl vorher nie gesehen hatte. Es stimmte, sie hatten dieselbe Farbe und jetzt auch wieder die alte Größe – aber irgend etwas Fremdes, Unheimliches, Unbekanntes schien in ihren Tiefen zu schlummern. Carl fühlte, wie ein Schauer seinen Rücken hinunterlief. Im nächsten Augenblick aber war dieser Eindruck verschwunden. Sein Vater sprach.
    »Ich bin also gestorben und restauriert worden.« Es war die alte vertraute Stimme. »Aber du siehst aus, als hättest du ein Gespenst gesehen.«
    Carl spürte, wie eine Welle der Erleichterung ihn überspülte, und er brachte es fertig zu lächeln. »Einen Moment lang hast du mich tüchtig erschreckt. Ich wußte nicht, ob alles in Ordnung sei. Deine Augen – sie sahen so seltsam aus.«
    Er hörte das alte Bradley-Kempton-Lachen.
    »Welches Jahr haben wir, welchen Monat, welchen Tag?«
    »Es ist der zwölfte Juni 2245, Vater.«
    Das flüchtige Lächeln auf Bradley Kemptons Zügen wurde durch einen Ausdruck des Erstaunens ersetzt. »Es ist verblüffend. Du kannst dir nicht vorstellen, wie verblüffend, Carl. Aber los, erzähle – was ist geschehen?«
    Carl zog seinen Stuhl näher zum Bett. »Willst du es wirklich gleich hören?«
    »Natürlich – alles.«
    »Du wurdest ermordet.«
    »Ermordet?«
    »Im Grandin-Steinbruch.«
    »So?« Sein Vater sah ihn einen Augenblick forschend an. »Wer hat es getan?«
    »Sie wissen es noch nicht.«
    Sein Vater senkte den Blick. »Sie?« fragte er gedehnt.
    »Die Kripo der Föderation.«
    »Oh! – die beschäftigen sich mit dem Fall?«
    »Sie haben mich
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