Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
TS 10: Das vertauschte Ich

TS 10: Das vertauschte Ich

Titel: TS 10: Das vertauschte Ich
Autoren: Jerry Sohl
Vom Netzwerk:
einspannen lasse.«
    Carl war darüber sehr erfreut. »Ich werde dich zu ein paar großartigen Plätzen fahren, wo du nach Herzenslust malen kannst«, schlug er dann vor.
    »Malen?« Sein Vater räusperte sich und beschäftigte sich intensiver mit seinem Teller.
    »Ich weiß doch, wie gern du malst, Vater.«
    »Ja, natürlich.« Bradley schien plötzlich Schluckbeschwerden zu haben.
    Carl war etwas verwirrt und wechselte taktvoll das Thema. Voller Stolz berichtete er, wie gut die Dinge im Betrieb während der drei Tage verlaufen waren, an denen er die Leitung übernommen hatte.
    »Weil ich wußte, daß du ja bald wieder da sein würdest, habe ich allerdings alle größeren Entscheidungen aufgeschoben. Ich habe nur das Nötigste erledigt. Ich fürchte, eine Menge Arbeit wird auf dich warten, wenn du zurückkommst.«
    Sein Vater blickte einen Augenblick zwischen zwei Bissen auf. »Der Betrieb war in guten Händen«, sagte er. »Carl, eigentlich frage ich mich, warum du in Zukunft nicht überhaupt einen Teil der Verantwortung übernehmen solltest. Ja, warum eigentlich nicht. Es wird ja auch höchste Zeit, meinst du nicht auch?«
    Der Gedanke, daß Bradley Kempton plötzlich großzügig genug wurde, einem andern die Leitung seines Betriebes zu überlassen – allein sein Zugeständnis, daß außer ihm noch ein anderer befähigt war, richtige Entscheidungen in bezug auf die Geschäftspolitik der Gesellschaft zu treffen – dieser Gedanke war so ungeheuerlich, daß Carl eine Zeitlang sprachlos dasaß.
    »Ich – ich«, stotterte er endlich.
    »Was ist denn?«
    »Ich bin wirklich überrascht.«
    »Überrascht? Warum?«
    »Ich habe bis jetzt nur Routinearbeit übernommen. Und ich dachte immer, daß du …«
    »Du dachtest was?«
    »Nun ja, es ist wahr, ich habe mich nie nach der Verantwortung gedrängt, aber ich habe – um offen zu sein – auch nie gedacht, daß du einen Teil davon abtreten würdest.«
    »Hör mir mal gut zu«, sagte sein Vater und steckte sich den letzten Löffel voll Nachtisch in den Mund. »In Zukunft wird sich manches ändern. Ich habe so über verschiedenes nachgedacht.«
    Ganz bestimmt – irgendetwas war mit seinem Vater nicht in Ordnung.
    Carl hatte bis jetzt noch keinen Menschen gesehen, der gerade restauriert worden war. So konnte er auch nicht wissen, ob der Restaurierungsprozeß nicht eine grundlegende Änderung im Charakter des Betroffenen im Gefolge hatte, eine Änderung, die nur normal war. Immerhin – war es denn wirklich möglich, die gesamte Vergangenheit eines Menschen, seine Erinnerungen, seinen Verstand, sein Wissen und seine Fähigkeiten, seine Wünsche und Triebe völlig und ungeschmälert festzuhalten? Auf der anderen Seite – was er bisher über den Prozeß gehört und gelesen hatte, besagte, daß alle Restaurierten nach der Operation genauso wie vorher sein sollten.
    Was also war hier nicht in Ordnung? Seines Vaters Augen zum Beispiel. Es waren die gleichen Augen, darüber bestand kein Zweifel. Aber er konnte das unbestimmte Gefühl nicht loswerden, daß sie wiederum doch fremd und anders waren.
    Vielleicht lag der Grund darin, daß sein Vater gerade erst die Operation hinter sich hatte. Natürlich konnte Carl nicht erwarten, daß er so einfach vom Operationstisch herunterspringen und sich gleich in die Arbeit stürzen würde. Möglicherweise, so überlegte er, hatte er einfach noch nicht ganz zu seinem alten Selbst zurückgefunden.
    Trotzdem, die Dinge, die sein Vater bisher gesagt hatte, klangen so gar nicht nach seinem Vater. Zum Beispiel seine Lobesworte über John Hardesty. Sein Vater war immer ein Mann von Prinzipien gewesen, der aufrichtig zu einer einmal gefaßten Meinung stand. Er hatte wiederholt gesagt, daß er den Mann nicht leiden konnte und daß er ihn nur im Betrieb duldete, weil der Aufsichtsrat darauf bestand.
    Und dann natürlich ganz besonders seines Vaters Bereitschaft, die Verantwortung für den Betrieb mit einem zweiten zu teilen. Das war seiner Natur noch fremder. Sein Vater war ein Idealist gewesen, ein Perfektionist, ein Träumer. Ein Mann, der alles selber machen mußte und nur sich selbst vertraute.
    Was also war während der Restaurierung verkehrt gegangen?

 
4. Kapitel
     
    Bradley Kempton war sein ganzes Leben lang ein Stabi gewesen. Bei seinem ersten Test im Alter von sechs Jahren erreichte seine Stabilitätskurve einen höheren Punkt als seine Intelligenzkurve. Das an sich war nicht ungewöhnlich. Die Ärzte konnten auf Hunderte von Fälle
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher