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TS 10: Das vertauschte Ich

TS 10: Das vertauschte Ich

Titel: TS 10: Das vertauschte Ich
Autoren: Jerry Sohl
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hinweisen, wo die Betreffenden eine unwahrscheinliche Stabilität des Geistes besaßen, aber kein bißchen Intelligenz. Derartige Fälle fand man unter den Insassen von Irrenhäusern. Die meisten vegetierten einfach dahin. Was die Untersuchungskommission so erstaunt hatte, war die Tatsache, daß in Bradleys Fall beide Kurven eine derartig überraschende Höhe hatten.
    Dasselbe ereignete sich beim medizinischen Test und beim Schlußtest. Die Psychologen der Kommission hatten verlangt, daß er die Tests wiederholte und waren danach um so erstaunter, daß die von ihm erreichte Punktzahl auch nicht im Geringsten korrigiert werden mußte.
    Im Juni 2245, in der Zeit zwischen seinem Tode und seiner Restaurierung, aber mußte irgend etwas mit dieser verblüffenden Stabilität geschehen sein. Bradley Kempton war nicht mehr der ruhige, kühldenkende Mann, der er früher gewesen war. Er war plötzlich Stimmungen unterworfen. Manchmal war er lustig und guter Laune, manchmal niedergeschlagen und deprimiert.
    Carl sprach darüber mit einigen der Ärzte, die die Operation ausgeführt hatten. Konnte dabei irgend etwas der empfindlichen Struktur des Gehirns widerfahren sein? Was, zum Beispiel, verlangten sie zu wissen. Carl erinnerte sich vage an etwas, was er früher einmal gehört hatte. Die Merkkreise des Gedächtnisses wurden in kleinen Kolloidbehältern aufbewahrt, deren Temperatur aber auch keine Sekunde um den mikroskopischsten Teil eines Grades variieren durfte. Konnte nicht hier ein Mißgeschick unterlaufen sein?
    Die Antwort, die er auf diese Frage erhielt, bestand aus kalten Blicken, Kopfschütteln und heftigen Verneinungen. Nichts, aber auch gar nichts konnte hier verkehrt gehen.
    Wenn Sie eine offizielle Beschwerde erheben wollen …
    Aber Carl konnte bloße Zweifel und Vermutungen nicht zu Papier bringen. Er mußte warten, bis er dafür greifbare Beweise hatte. In der Zwischenzeit blieb ihm nichts anderes übrig, als zu hoffen, daß seines Vaters altes Wesen wieder zum Vorschein käme und so der Grund für seine Unruhe hinfällig würde.
    Aber das war nicht der Fall.
    Am ersten Tage nach der Rückkehr seines Vaters erwähnte Carl zufällig noch einmal die Malfarben.
    Der ältere Kempton schüttelte den Kopf. »Ich hatte mir schon vorgenommen, mit dir darüber zu sprechen. Weißt du, ich habe im Krankenhaus eine Menge Zeit zum Nachdenken gehabt, und ich habe eingesehen, daß ich zum Malen einfach nicht mehr die Zeit habe. Schmeiß das Zeug einfach weg.«
    »Aber Mutter hat sie dir doch gegeben!« Carl war schockiert. Frau Kempton war vor fünf Jahren gestorben – kaum zwei Monate, nachdem sie die Farben seinem Vater zum Geburtstag geschenkt hatte. Sein Vater hatte sie in der Folgezeit wie seinen Augapfel gehütet.
    »Oh ja, ich vergaß. Also gut, leg sie irgendwo auf die Seite. Vielleicht werde ich eines Tages…«
    Carl addierte diesen Vorfall zu verschiedenen anderen, die in eine unverständliche Richtung wiesen. Sein erster Gedanke war, daß der Mord, der sich ja beim Malen ereignet hatte, seinem Vater diesen Zeitvertreib verleidet hatte. Dann fiel ihm ein, daß dies nicht gut möglich war. Der restaurierte Bradley Kempton konnte ja gar keine Erinnerungen an den Mord haben. Der Mann, wie er jetzt existierte, glich dem Manne, wie er vor acht Monaten war. Und alle Erinnerungen, die er hatte, waren die, die vor acht Monaten bei der letzten Sitzung aufgenommen worden waren. Der spätere Bradley Kempton hatte aufgehört zu existieren, als das Acheron sein Leben auslöschte.
    Also gut. Wenn der Grund für diese plötzliche Abneigung nicht in der Gedankenverbindung Malen – Mord zu suchen war, was war es dann? Irgendwo mußte die Antwort liegen. Er mußte die Ereignisse in einen logischen, verständlichen Zusammenhang bringen. Vielleicht konnte er sie so finden.
    Oder war das der Grund, daß er – nicht mehr malen konnte?
    Einen Augenblick lang spielte er mit dieser Idee, bis ihn plötzlich die Wahrheit mit solcher Gewalt überfiel, daß ihm schwindlig wurde und seine Hände unkontrolliert zu zittern begannen.
    »Übrigens«, sagte sein Vater, »ein Mädchen hat angerufen. Ihren Namen hat sie allerdings nicht genannt.«
    »Danke.« Er mußte sich Gewißheit verschaffen – sofort. Bis dahin konnte er diesem unbekannten und unheimlichen Bradley Kempton einfach nicht mehr frei gegenübertreten.
    »Ich werde dann verschwinden«, sagte er so beherrscht wie möglich. Er war froh, daß sein Vater nicht fragte, wohin er gehen
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