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Das Haus auf der Brücke

Das Haus auf der Brücke

Titel: Das Haus auf der Brücke
Autoren: Othmar Franz Lang
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Menschenskind, wir sind vielleicht eine Familie! Das glaubt ja niemand, was wir für eine Familie sind! In der Schule, wenn ich von daheim erzähle, kein Mensch glaubt mir das. Das einzige, was sie mir glauben, ist, daß ich zwölf bin, Spinne, meine Schwester, vierzehn wird, Don sechzehn ist und dauernd vor dem Spiegel steht, um seine Pickel zu bewundern. Meine Mutter ist achtunddreißig, aber sie sieht jünger aus, und mein Vater, vierundvierzig, ist im Fußball aber noch ganz gesund bei Schuß. Wir alle sind zusammen also hundertvierundzwanzig Jahre alt. Wenn man zusammen hundertvierundzwanzig Jahre alt ist, müßte man doch etwas zu reden haben. Da müßte man sich doch durchsetzen können. Gegen einen Drei jährigen beispielsweise. Aber Schnecke! Der dreijährige Knirps schafft an, und wir alle, wir hundertvierundzwanzig Jahre, müssen folgen.
    Der Kleine, der Dreikäsehoch, das Tüpfelchen auf dem I, wie Vater immer sagt, ist mein Bruder. Und seit der in die Familie kam, haben wir allerhand Sorgen. Vater sagt, Bero hat einen starken Willen. (Bero nennt er sich selbst, weil er Robert noch nicht sagen kann.) Und das spüren wir. Außerdem ist er noch dumm und will absolut nichts begreifen. Wenn ich mit ihm zum Schrankenwärterhäuschen gehe, um ihm ein paar Züge zu zeigen, und wie die Schranke runter- und wieder raufgeht, sieht er sich das eine Weile an und verlangt plötzlich, daß ein Schiff vorüberkommen soll. Ein Schiff auf einem Bahndamm!
    Jeder Mensch sieht ein, daß das nicht geht, Bero aber nicht. Er fängt zu stampfen und zu brüllen an, kriegt einen viereckigen Mund, wird fast blau im Gesicht, nur weil kein Schiff auf den Schienen daherkommt.
    Oder er sieht sich das Telefonbuch an und weint plötzlich. Wir alle laufen zusammen, weil wir denken, er hat sich weh getan. Aber nein! Er weint, weil im Telefonbuch keine Bilder sind. Er will ein Schwein und eine Kuh, eine Ente und eine Katze im Telefonbuch haben. Und wenn wir ihm erklären, daß das nicht möglich ist, brüllt er, daß das Haus zusammenfällt. Seitdem gibt’s in unserem Telefonbuch einen ganzen Zoo, nur Telefonnummern kann man keine mehr drin finden.
    So ist das Leben! Besonders in unserer Familie.
    Bero möchte in unseren Schulheften Tankwagen und Flugzeuge sehen, und wenn er keine drin findet, malt er welche hinein. Besser gesagt, das, was er für Flugzeuge und Tankwagen hält. Fast nehme ich es unseren Lehrern nicht übel, wenn sie meinen, das kindische Gekritzel gehört nicht in ein Schulheft hinein.
    Dabei sagen wir alle: Im Grunde ist er nicht schlimm. Er will nur seinen Willen durchsetzen. Er ist auch ein braver Esser, obwohl wir manchmal die ausgefallensten Dinge auf den Tisch stellen müssen, damit sie in seinen Teller hineingucken. Den Handmixer zum Beispiel oder Vaters Bohrmaschine aus dem Hobbyraum. Nur beim Staubsauger ließ sich Mutti nicht erweichen. Und die Großmutter wollte einmal auch nicht auf den Tisch steigen, obwohl Bero sich das wünschte.
    Für die Großmutter ist Bero die ausgleichende Gerechtigkeit, weil sie will, daß nur alles so gemacht wird, wie sie es für richtig hält. Wir fürchten uns nämlich alle, wenn sie kommt. Sogar Vater. Wir können dann nämlich nicht so reden, wie wir sonst reden. Sie findet alles Moderne entsetzlich und hört im Radio am liebsten nur Bach. Als Vater mal eine Play-Bach-Platte kaufte, fiel sie fast in Ohnmacht. Sie hat dann drei Tage nicht mit ihm gesprochen. Großmutter darf auch nicht wissen, was wir schon alles wissen. Zum Beispiel wie wir Robert kriegten und wie er sich in Muttis Bauch schon bewegte. Kurzum, wenn Oma kommt, darf nur ganz dämlich gesprochen werden, von Wiesenblumen und schöner Fernsicht und von Bach natürlich auch. Der einzige, der sich leisten kann, was er will, ist Bero.
    Wenn wir vor der Großmutter zittern, dann zittert sie vor ihm.
    Wenn sie, nur so zum Beispiel, mit ihm spazierengeht und sie sagt: »In einer, höchstens anderthalb Stunden bin ich zurück«, dann ist sie in drei Stunden noch nicht da. Sie bekommt Bero einfach nicht heim. Und hat sie ihn endlich bis ans Haus geschleift, dann klingelt sie Sturm. Und unten liegt Bero auf der Straße, und Oma lehnt am Zaun, die Haare hängen ihr ins Gesicht, und sie keucht: »Ich bringe ihn nicht hinauf.«

    Dann braucht Vater nur »Robert!« zu rufen, und der Bengel steht auf und kommt herein. Dann sind wir alle stolz auf Vater und auf Bero auch. Denn von uns anderen hat noch keiner der Großmutter so die
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