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Lausbubengeschichten. Aus meiner Jugendzeit

Lausbubengeschichten. Aus meiner Jugendzeit

Titel: Lausbubengeschichten. Aus meiner Jugendzeit
Autoren: Ludwig Thoma
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Ludwig Thoma
Lausbubengeschichten
Aus meiner Jugendzeit
     
Gretchen Vollbeck
    Von meinem Zimmer aus konnte ich in den Vollbeckschen Garten sehen, weil die Rückseite unseres Hauses gegen die Korngasse hinausging.
    Wenn ich nachmittags meine Schulaufgaben machte, sah ich Herrn Rat Vollbeck mit seiner Frau beim Kaffee sitzen, und ich hörte fast jedes Wort, das sie sprachen.
    Er fragte immer: »Wo ist denn nur unser Gretchen so lange?« und sie antwortete alle Tage: »Ach Gott, das arme Kind studiert wieder einmal.«
    Ich hatte damals, wie heute, kein Verständnis dafür, daß ein Mensch gerne studiert und sich dadurch vom Kaffeetrinken oder irgend etwas anderem abhalten lassen kann. Dennoch machte es einen großen Eindruck auf mich, obwohl ich dies nie eingestand.
    Wir sprachen im Gymnasium öfters von Gretchen Vollbeck, und ich verteidigte sie nie, wenn einer erklärte, sie sei eine ekelhafte Gans, die sich bloß gescheit mache.
    Auch daheim äußerte ich mich einmal wegwerfend über dieses weibliche Wesen, das wahrscheinlich keinen Strumpf stricken könne und sich den Kopf mit allem möglichen Zeug vollpfropfe.
    Meine Mutter unterbrach mich aber mit der Bemerkung, sie würde Gott danken, wenn ein gewisser Jemand nur halb so fleißig wäre, wie dieses talentierte Mädchen, das seinen Eltern nur Freude bereite und sicherlich nie so schmachvolle Schulzeugnisse heimbringe.
    Ich haßte persönliche Anspielungen und vermied es daher, das Gespräch wieder auf dieses unangenehme Thema zu bringen.
    Dagegen übte meine Mutter nicht die gleiche Rücksicht, und ich wurde häufig aufgefordert, mir an Gretchen Vollbeck ein Beispiel zu nehmen.
    Ich tat es nicht und brachte an Ostern ein Zeugnis heim, welches selbst den nächsten Verwandten nicht gezeigt werden konnte.
    Man drohte mir, daß ich nächster Tage zu einem Schuster in die Lehre gegeben würde, und als ich gegen dieses ehrbare Handwerk keine Abneigung zeigte, erwuchsen mir sogar daraus heftige Vorwürfe.
    Es folgten recht unerquickliche Tage, und jedermann im Hause war bemüht, mich so zu behandeln, daß in mir keine rechte Festesfreude aufkommen konnte.
    Schließlich sagte meine Mutter, sie sehe nur noch ein Mittel, mich auf bessere Wege zu bringen, und dies sei der Umgang mit Gretchen.
    Vielleicht gelinge es dem Mädchen, günstig auf mich einzuwirken. Herr Rat Vollbeck habe seine Zustimmung erteilt, und ich solle mich bereit halten, den Nachmittag mit ihr hinüberzugehen.
    Die Sache war mir unangenehm. Man verkehrt als Lateinschüler nicht so gerne mit Mädchen wie später, und außerdem hatte ich begründete Furcht, daß gewisse Gegensätze zu stark hervorgehoben würden.
    Aber da half nun einmal nichts, ich mußte mit.
    Vollbecks saßen gerade beim Kaffee, als wir kamen; Gretchen fehlte, und Frau Rat sagte gleich: »Ach Gott, das Mädchen studiert schon wieder, und noch dazu Scheologie.« Meine Mutter nickte so nachdenklich und ernst mit dem Kopfe, daß mir wirklich ein Stich durchs Herz ging und der Gedanke in mir auftauchte, der lieben alten Frau doch auch einmal Freude zu machen. Der Herr Rat trommelte mit den Fingern auf den Tisch und zog die Augenbrauen furchtbar in die Höhe.
    Dann sagte er: »Ja, ja, die Scheologie!«
    Jetzt glaubte meine Mutter, daß es Zeit sei, mich ein bißchen in das Licht zu rücken, und sie fragte mich aufmunternd: »Habt ihr das auch in eurer Klasse?«
    Frau Rat Vollbeck lächelte über die Zumutung, daß anderer Leute Kinder derartiges lernten, und ihr Mann sah mich durchbohrend an, das ärgerte mich so stark, daß ich beschloß, ihnen eines zu geben.
    »Es heißt gar nicht Scheologie, sondern Geologie, und das braucht man nicht zu lernen,« sagte ich.
    Beinahe hätte mich diese Bemerkung gereut, als ich die große Verlegenheit meiner Mutter sah; sie mochte sich wohl sehr über mich schämen, und sie hatte Tränen in den Augen, als Herr Vollbeck sie mit einem recht schmerzlichen Mitleid ansah.
    Der alte Esel schnitt eine Menge Grimassen, von denen jede bedeuten sollte, daß er sehr trübe in meine Zukunft sehe.
    »Du scheinst der Ansicht zu sein,« sagte er zu mir, »daß man sehr vieles nicht lernen muß. Dein Osterzeugnis soll ja nicht ganz zur Zufriedenheit deiner beklagenswerten Frau Mutter ausgefallen sein. Übrigens konnte man zu meiner Zeit auch Scheologie sagen.«
    Ich war durch diese Worte nicht so vernichtet, wie Herr Vollbeck annahm, aber ich war doch froh, daß Gretchen ankam. Sie wurde von ihren Eltern stürmisch
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