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TS 10: Das vertauschte Ich

TS 10: Das vertauschte Ich

Titel: TS 10: Das vertauschte Ich
Autoren: Jerry Sohl
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des Operationssaales öffneten und man seinen Vater herausführte, wie eine kleine Ewigkeit hindehnen würde.
    Vielleicht hätte er Marilla doch erlauben sollen, ihm hier im Krankenhaus Gesellschaft zu leisten. Wenigstens wäre die Zeit dann schneller vergangen. Aber er hatte Zweifel gehabt, ob ein frisch restaurierter Mensch der geeignete Anblick für eine junge Frau sein würde. Außerdem wollte er sie seinem Vater nicht gerade unter diesen Umständen vorstellen. Dazu war später noch Zeit genug.
    Die Restaurierung. Man las darüber in den Fax-Zeitungen, hörte und sah es im Fernsehen, erlebte es unglaublich realistisch am eigenen Körper in den Imagos. Das große Wunder war allmählich alltäglich und selbstverständlich geworden. Restaurierung? Natürlich – Präsident Vandergreen wurde restauriert – und Dr. Mills, der Soziologe – und … Aber jetzt, wo sein Vater restauriert werden sollte, erschien ihm das Ganze traumhaft und unwirklich.
    Vor drei Tagen – nachdem Severn gegangen war – war er in das Krankenhaus geeilt, und sie hatten ihm seinen Vater gezeigt. Tief unten in den kühlen unterirdischen Gewölben des mächtigen Baus hatte er seinen Vater in einem gläsernen Sarge liegen gesehen, steif und still, die absolute Verkörperung des Todes. Der Anblick hatte ihn entsetzt. Die Haut seines Vaters hatte einen übelerregenden grünen Ton angenommen – ein äußeres Zeichen des Todes durch Acheron.
    Das Entsetzen hatte den kleinen Rest von Trauer, den er empfunden hatte, völlig verdrängt. Warum wollte er aber auch um jemand trauern, der unter den erfahrenen Händen der Restaurierungsspezialisten bald wieder zum Leben erwachen würde.
    Aber trotzdem – einen Augenblick lang hatte er doch Zweifel verspürt.
    »Wird er wirklich wieder leben?« hatte er einen der Ärzte gefragt, der gerade vorbeiging.
    Der Arzt hatte einen kurzen Blick auf den Toten geworfen und dann Carl beruhigend zugelächelt. »Ein leichter Fall«, hatte er gesagt. »Er wird uns nicht viel Zeit kosten – drei Tage allerhöchstens. Wir brauchen keine neuen Organe, und wir müssen auch keine Regenerationszellen einpflanzen und dann warten, bis neue Glieder nachgewachsen sind.«
    Carl hatte zweifelnd durch die Glaswand seinen Vater betrachtet. Die weißen Augenbrauen und der weiße Schnurrbart hatten im großen Gegensatz zu der dunkelgrünen Farbe der Haut gestanden. Wie konnte es jemand fertigbringen, diesen Wangen wieder die Farbe des Lebens einzuhauchen, hatte er sich im stillen gefragt.
    »Bei Ihrem Vater sind überhaupt keine Verfallserscheinungen vorhanden«, hatte der Arzt fortgefahren. »Wir haben Glück gehabt. Wir haben ihn sofort bekommen und auch sofort tiefkühlen können.« Und dann hatte er Carl erklärt, wie die Restaurierung vor sich gehen würde. Er hatte dabei eine Menge Fachausdrücke gebraucht, die es Carl erschwert hatten, der Erklärung in allen Teilen zu folgen. Aber zumindest hatte er sich doch überzeugen lassen, daß die Ärzte der Restaurierungsbehörde ihr Handwerk verstanden und daß sie seinen Vater schon wieder zusammenflicken würden, auch wenn er selbst nicht alles verstanden hatte.
    »Warum setzen Sie sich nicht, Mr. Kempten?« Die Worte rissen ihn aus seinen quälenden Gedanken. Er drehte sich irritiert nach dem dunkelhaarigen Mädchen um, das in der Uniform einer Schwester an dem Empfangstisch am Ende des Korridors saß. »Wenn Sie auch noch so ungeduldig herumlaufen, Sie können Ihren Vater dadurch auch nicht schneller herausbringen.«
    Carl blinzelte verdutzt. Er befand sich wieder in dem aseptischen und nach Krankenhaus riechenden Korridor vor dem Operationssaal. Einen Augenblick lang konnte er sich nicht erinnern, welche Gedanken ihn von dieser bedrückenden Umgebung so erfolgreich abgelenkt hatten. Auf der Uhr war es 9.50.
    »Ich warte jetzt schon drei Stunden.« Er ging zu dem Mädchen hinüber und lehnte sich gegen den Tisch. »Ich muß gestehen, ich wußte nicht einmal, daß ich herumgerannt bin.« Er versuchte ein Lächeln.
    »Ach, ich bin Kummer gewöhnt.« Sie legte den Stapel Karten, den sie gerade sortierte, hin und blickte zu ihm auf. »Aber Sie sollten sich gesehen haben. Ihre Stirn war ganz kraus, und Sie haben ununterbrochen vor sich hingemurmelt. Und dann sind Sie immer schneller auf und ab gerannt, so daß ich Angst bekam, Sie würden sich noch den Kopf einrennen.«
    Sie sagte das mit so besorgter Stimme, daß Carl lachen mußte. Und er vergegenwärtigte sich plötzlich, daß dies
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