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Trinken Sie Essig, meine Herren: Werksausgabe Band 1, Prosa (German Edition)

Trinken Sie Essig, meine Herren: Werksausgabe Band 1, Prosa (German Edition)

Titel: Trinken Sie Essig, meine Herren: Werksausgabe Band 1, Prosa (German Edition)
Autoren: Daniil Charms
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aus, wie etwa: »Aha! Du bist also von der schreibenden Zunft!« Dieses antikisierende »nikako« bereitete indes allen bisherigen Übersetzern Schwierigkeiten und wurde stets irrtümlich als Negation aufgefasst. So schreibt Tschörtner: »Du bist ja überhaupt kein Schreiber!«, was den Sinn des Satzes komplett verdreht! Ebenso Kay Borowsky in den »Fällen« (Stuttgart, 1995): »Aber du bist doch kein Schreiber!« Und auch Urban begeht denselben Fehler: »Aber du bist doch kein Schreiber!« So bleibt das Ende der Anekdote kryptisch: Bei Tschörtner heißt es: »Da schloß Puschkin Shukowski ins Herz und nannte ihn freundschaftlich nur noch Shukowoi.« Abgesehen davon, dass bei Charms von »Shukowoi« keine Rede ist (er nennt ihn »Žukov«), ist unklar, warum der so gern schreibende Puschkin sich darüber freuen soll, dass er auf einmal kein Schreiber ist. Tschörtner erblickt darin eine Art unübersetzbares Wortspiel und versucht das Problem durch eine Fußnote zu dem von ihr erfundenen Namen »Shukowoi« zu lösen: »svw.: der Käferartige«. Obwohl »žuk« tatsächlich »Käfer« heißt, existiert das Wort »Shukowoi« im Russischen nicht und bedeutet auch nicht »der Käferartige« (dazu müsste es »žukoobraznyj« oder »žukopodobnyj« heißen). Aber selbst wenn es stimmen würde, bliebe der Zusammenhang schleierhaft. Borowsky schreibt: »Da gewann Puschkin Shukowskij lieb und nannte ihn von nun an freundschaftlich einfach Shuk« und belässt die Passage unkommentiert. Urban übersetzt wie immer wortwörtlich: »Da gewann Puškin Žukovskij sehr lieb und nannte ihn von nun an freundschaftlich Žukov«, und auch hier bleibt das Ende vollkommen offen. Die Lesart, die er in der Endnote vorschlägt, ist allerdings noch um einiges abstruser: »Žukov – žuk: der Käfer; ob Charms hiermit Figuren der Zeitgeschichte, z. B. G. K. Žukov, 1896–1974, Militär, Marschall ab 1943, im Auge hatte, ist ungeklärt. Žukov war Befehlshabender der Truppe des Bezirks Leningrad« …
    Lesen wir dagegen die neue Übersetzung von Beate Rausch, entfällt die Notwendigkeit einer Anmerkung, denn die Situation klärt sich von selbst: »Puschkin war Dichter und schrieb immerzu irgendwas. Einmal traf ihn Schukowski beim Schrei ben an und rief laut aus: ›Potz Blitz, ein richtiger Dichtiger!‹ Seitdem mochte Puschkin Schukowski sehr gern und nannte ihn freundschaftlich einfach Schuki.« Nicht nur trifft sie als Einzige den Sinn, sondern übernimmt auch noch die verspielte Ironie und den Reim des Originals.
    Auch in anderen Texten gehört es zu den Vorzügen der neuen Übersetzung, dass es ihr gelingt, die stilistischen Eigenheiten weit genauer wiederzugeben, als es die früheren tun. So zum Beispiel in der »Historischen Episode«, wo Charms in den Dialogen die »barocke« altrussische Sprache parodiert. Wie immer spart er dabei wenig mit Schminke und überzeichnet die Sätze bis hin zum Grotesken. Ältere Übersetzungen ignorieren dies entweder ganz oder deuten es nur hauchdünn an. Hier einige Stellen im Vergleich:
     
    »Zri, kako tvoja boroda klo
  ˇ
cna« (Charms)
    »Holla, dein Bart ist ganz zerrupft!« (Tschörtner)
    »Sieh mal, dein Bart ist ganz zerfetzt!« (Borowsky)
    »Ei seht, sein Bart ist ganz zerfetzt!« (Urban)
    »Heda, dein Bart, er deucht mich weidlich ausgefranst!« (Rausch)
     
    »Kto est’ sej?« (Charms)
    »Wer ist denn dieser?« (Tschörtner)
    »Wer ist dieser Mann?« (Borowsky)
    »Wer ist dieser Mann?« (Urban)
    »Wer ist er, jener da?« (Rausch)
     
    »›Ne ugodno li rybki?‹ sprosil chozjain. ›Pošel ty k buju!‹« (Charms)
    »›Etwas Fisch gefällig?‹ fragte der Wirt. ›Pack dich!‹« (Tschörtner)
    »›Etwas Fisch gefällig?‹ fragte der Wirt. ›Pack dich!‹« (Borowsky)
    »›Ein Fischlein gefällig?‹ fragte der Wirt. ›Pack dich!‹« (Urban)
    »›Belieben der Herr vielleicht etwas Fisch?‹, fragte der Wirt. ›Scher er sich fort!‹« (Rausch)
     
    Alle diese kleineren und größeren Abweichungen verändern jedoch in ihrer Gesamtheit das Bild unseres Dichters. – Und so ist es für die vorliegende Ausgabe auch wesentlich wichtiger, dass sie Charms als einen Dichter präsentiert, der nicht für einen Zirkel von Wissenden schreibt, sondern der ganze Lichterketten von Glühbirnen zum Leuchten bringen will, als dass hier auch vierzehn seiner Texte zum ersten Mal auf Deutsch präsentiert werden. Ein Grund mehr, Daniil Charms ein neues sprachliches Gewand zu geben, den Zaubertrick
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