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Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!

Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!

Titel: Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!
Autoren: Andreas Altmann
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raucherbeinzerfressenen Gesichtern und bestialisch geschlachteten Tieren. Mahabir konnte nicht mal Fliegen töten. Mit einem Wedel fegte er den Boden vor seinen Füßen. Vor jedem Schritt. Damit kein Unheil über indische Mikroben kam.
    Der Vater vererbte seine Güte an Anant, gewiss. Wie seinen Beruf, Broker. Auf allen drei Stockwerken flirren augenblicklich die Zahlen der Weltbörsen über die Computer. Kunden und Mitarbeiter sitzen davor und diskutieren über Kaufen und Verkaufen. Mahabir war Mitbegründer der Firma. So widersprüchlich kann ein Mensch sein. Wie jetzt der Sohn, der alle Profite eine Stunde lang vergisst und mich bewirtet. Die halbe Küche wird aufgefahren, kein Erbarmen für den Gast, die Vorspeisen, das Hauptgericht, die Sweets, die Lassis, die drei Tassen Kaffee. Bis ich, ein Kilo schwerer als zuvor, an das Waschbecken treten darf, an dem ich mir beim letzten Mal die Hände eingeseift habe. Und Mahabir noch hurtig ein Insekt entfernte. Damit der Vorgang des Reinigens »ohne zu töten« vonstatten ginge. Jetzt spüre ich den Druck hinter den Augen, auch berührt von der Erinnerung an einen, der so radikal alles Leben achtete.
    Am Abend finde ich ein Restaurant, in dem ich essen, bleiben und schreiben darf. Ohne vom Orkangeschrei eines Fernsehers gemeuchelt zu werden. Ich weiß noch immer nicht, in welchem Land die läppischsten Programme produziert werden. Der Wettbewerb ist hart, das internationale Kopf-an-Kopf-Rennen lässt keine eindeutige Entscheidung zu.
    Vor Tagen las ich, dass »Expressive writing« die Glückshormone sprudeln lässt. Wenn jemand einem anderen gegenüber – schriftlich – seine Dankbarkeit ausdrückt, dann überkommt den Dankbaren ein Gefühl von Freude. Das glaube ich sofort. Ich sitze zwei Stunden, um in mein (digitales) Tagebuch zu tippen, und rede von nichts anderem als meinen Schulden dem wundersamen Indien gegenüber.
    Den Rest des Abends lesen. Die Presse schwingt bereits zurück, aufs übliche Niveau. Vorne noch die Fotos mit Leichen über den üppig gedeckten Tischen der Luxushotels, in denen die Islamisten ihre Kalaschnikows leerfeuerten, und Seiten weiter schon wieder ein Portrait von Paris Hilton. Mit der brennenden Frage darunter, ob sie sich tatsächlich von Benji Madden getrennt hat. Oder er von ihr. Vorne wird gefragt, woher die Mörder und Brandstifter kamen, und hinten will man wissen, wie es in Miss Hiltons Bett aussieht. Wir oszillieren zwischen Grausamkeit und Erniedrigung.
    Eine Zeitungsredaktion hatte die clevere Idee, die neuen Sicherheitsmaßnahmen im Land zu checken (Titel der Recherche: »Who needs terrorists with policemen like you?«). Denn ein Ruck ging nach dem Massaker durch den Subkontinent. Überall und immerzu soll ab sofort kontrolliert werden. Um den nächsten Anschlag zu verhindern. (Nur im Irak waren Al Qaida und Co. mörderischer unterwegs.) Aber Indien bleibt Indien. Die Journalisten gehen mit Revolvern bestückt durch Metalldetektoren, das Gerät pfeift – und keiner vom daneben lungernden Sicherheitspersonal reagiert. Auch Indien kann nicht aus seiner Haut. Seine Einwohner haben kein Talent für den, sagen wir, deutschen Sicherheitswahn. Das kann schreckliche Folgen haben oder – wie so oft – für einen weniger paranoiden Alltag sorgen.
    Und dazwischen stehen die Geschichten, die man voller Bewunderung und Neid zu Ende liest. Ein Polizist, der an der berühmten Victoria Station (57 Tote, 87 Verletzte) mit einem alten Karabiner auf die Terroristen zurannte, um sie abzulenken. Ein Teeverkäufer, der die Nerven behielt und am Kugelhagel vorbei einen Notausgang für Passanten fand. Ein Schaffner, der sich als Schutzschild vor eine alte Frau stellte. Wer von uns Lesern solcher Botschaften träumt nicht davon, dass er am Tag X Herzkammern in sich entdeckt, von denen er bisher nichts ahnte. Die etwas Grandioses von ihm zeigen, etwas, das allem widerspricht, was ihn bisher an sich zweifeln ließ.
    Am dritten Tag weiß ich, was ich will. Ich gehe zum nächsten Bahnhof und fahre nach Varanasi. Abgedrehter und heiliger kann ein Ort auf diesem Erdteil nicht sein. Ich handle rein intuitiv, wüsste kein Wort zu sagen, warum ich dort eher den einen treffen soll, der das hat, was ich brauche. Oder, intelligenter formuliert, der mir zeigt, wie ich es in mir finde. Denn natürlich kann keiner dem anderen irgendwelche Kräfte schenken. Sie sind nicht übertragbar, nie. Ein japanischer Zen-Meister hat es einwandfrei formuliert: »Schau, da
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