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Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!

Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!

Titel: Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!
Autoren: Andreas Altmann
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Zuschauer Gelegenheit, den Abgesang bis zum Ende mitzuverfolgen. Sekundenlang ist er voraussehbar und nicht mehr aufzuhalten: Mitten im Dorf kommt uns auf der schmalen Straße ein Laster entgegen, drängt uns links auf die zwei Meter breite Wiesennarbe ab. Ich versuche wie von Sinnen, gegen die Schlagseite des Vehikels anzusteuern. Was noch weniger gelingt als zuvor, da wir uns gerade auf sacht abschüssigem Gebiet befinden. Jetzt fangen die Dorfbewohner Feuer, denn sie sehen, dass hier ein schuldloser Inder Opfer eines Verrückten wird, der die Herrschaft über sein Vehikel verloren hat und unwiderruflich auf den Kanal zudriftet. Hundert Gedanken schießen mir durch den Kopf, zwei davon: Kann Malulal schwimmen? Und was wird aus meinem Macintosh? Wobei ich nicht genau weiß, welche Not mich mehr bedrängt. Wahrscheinlich die des Computers, denn einen untergehenden 35-Jährigen kann ich retten, einen nassen Laptop jedoch nicht. Und noch eine dritte Frage kommt hoch, eher philosophischer Natur: War ich dafür zehn Tage im Kloster? Um jetzt mit Sack und Pack ins Wasser zu gehen? Nein, das darf nicht sein. Ich drehe mich um und fordere mit überschlagender Stimme den dreifachen Familienvater auf, abzuspringen. Und was sehe ich? Malulal hat den kleinen Rucksack, den wertvollen, bereits an sich genommen und umarmt ihn wie ein Baby. Könnte ich gerade, wie ich wollte, ich würde die Hände falten und ihn anbeten. Aber das geht nicht. Ich blicke wieder nach vorn, begreife, dass der Linksdrall mächtiger ist als alle meine Muskeln, sehe die letzten fünf, sechs Meter, die uns noch vom Untergang trennen, sehe plötzlich einen Baum, der schon immer da stand, und den ich bisher blindwütig übersehen hatte, sehe unsere einzige Chance und halte auf ihn zu, verbissen gegen die Urkräfte eines indischen Fahrrads kämpfend. Lieber auf Holz landen als im Kanal, einen Schritt daneben. Und wir landen. Nein, ich lande.
    Ein fulminantes Ende. Zwei Atemzüge zuvor war Malulal tatsächlich abgesprungen, Beinbrüche und lädierte Kniescheiben riskierend. Um mein Notebook zu retten. Und sich. Jetzt liegt er im Gras, den Rucksack hochgestreckt, schüchtern grinsend. Die Kinder kommen gelaufen und umringen uns. Zwei Kühe schlendern in unsere Nähe. Der Baum war gnädig, denn zuletzt entdeckte ich noch eine Handbremse. Ich knote ein Taschentuch um meine rechten Fingerknöchel, knie mich hin und verneige mich vor Malulal, dem Helden. Das muss sein. Alle lachen über uns Bruchpiloten. Dann vollführe ich eine Bewegung, die ich seit meiner Jugend nicht mehr gemacht habe: Ich stelle das Vorderrad zwischen meine Beine und richte den Lenker wieder gerade. Kein Land hat mich je so verwöhnt. Ich zittere. Wohl vor Glück.

NACHWORT
    Wieder zu Hause sammelte ich sogleich meine fünf BuddhaStatuen ein und verschenkte sie. Schmerzloser hatte noch nie eine Hinrichtung stattgefunden. Der Mann musste weg, musste fort. So dankbar ich ihm auch war, so hilfreich er in mein Leben eingegriffen hatte! Über Jahrzehnte. Mit Gedanken, mit Ideen, mit Vorschlägen zur Menschenfreundlichkeit, Achtsamkeit, Gottlosigkeit und – das Wichtigste sicher – seinen Aufrufen zur geistigen Unabhängigkeit. Jetzt hatte ich dank Buddha genug vom Buddhismus. Buddhist sein klingt in meinen Ohren heute so absurd wie Moslem sein oder Christ. Als ob eine, nur eine Lehre ausreichen würde, um mit der aberwitzigen Vielfalt des Lebens, der Welt, der Weltgeheimnisse fertig zu werden. Ich will wieder zu jenen zurückkehren, die ich schon immer für ausgesprochen attraktiv hielt: zu den Fassungslosen, den haltlos Überwältigten.
    Das Himmelreich Nirwana, wohin alle Egolosen pilgern möchten, bleibt mir so suspekt wie die Kinderpopo-Märchen der Monotheisten mit ihren Höllenschlunden und Paradiesgärten (einmal – Modell Islam – mit achtzig allzeit einverstandenen Jungfrauen, einmal – Herr Wojtyla hat es 2002 so bestimmt – ganz und gar sexlos). Wobei sich, natürlich, das buddhistische Jenseits wohltuend vom Jüngsten Gericht der beiden anderen unterscheidet. Wieder einmal kommt es ohne die Worte »Abrechnung« und »Strafe« und »Verdammnis« und »Rache« und »Qual« und »Zorn Gottes« etc. aus. Dennoch bleibt es suspekt, weil ich die Ichlosigkeit für einen Witz halte, den Wunsch nach ihr für unmenschlich, irgendwie auch für maßlos und kindlich. Erst mit dem abgeschlagenen Kopf in der Hand lässt mich mein ICH in Ruhe. Das gilt für jeden, der schon mal gelebt hat, und
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