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Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!

Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!

Titel: Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!
Autoren: Andreas Altmann
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Antwort auf die Frage, wie er die nächsten fünfzig Jahre hinter sich bringen soll. Er scheint verwirrt wie ein New Yorker Halbwüchsiger, scheint einem Westler entschieden näher als seinen (gelassenen) Landsleuten. Nun, vielleicht muss sich der 26-Jährige ein neues Studium suchen. Durchaus vorstellbar, dass die jahrelange Ausbildung zum Geschäftemacher, dessen unermüdlichstes Ziel ist, immer profitablere Geschäfte zu machen, irgendwann zum Grübeln verführt. Und irgendwann zum Meditieren. Weil man das irritierende Gefühl nicht mehr loswird, dass es sinnlichere Tätigkeiten gibt, als dem indischen Volk Staubsaugerbeutel oder Nachthemden für Schwangere zu verkaufen.
    Drei Zellen weiter wohnt Vinay, der Wahnsinnige, der jeden Tag eine halbe Tonne Mikroben, Keime und Bakterien in der Dhamma Hall mit mir teilte. Jetzt lächelt er und – geheimnisvolles Indien – kein kleinster Huster entfährt ihm. Mein erster Ratschlag an ihn lautet folglich, sofort mit Vipassana aufzuhören. Um zu gesunden. Der Student der Agrarwissenschaft versteht die Ironie und lächelt gequält. Der Typ hat Charme und hält eine ganz unerwartete Erklärung bereit, warum er an den zehn Tagen teilnahm: »Each day should be enthusiastic.« Nach ein paar weiteren Antworten wird klar, was er meint: Vinay langweilt sich an der Uni. Die Regeln sind strikt und die Studentinnen unerreichbar. Er spricht nur wahr. In diesem Land bewegen sich Abermillionen von religiöser Scheinheiligkeit versiegelte Geschlechtsteile aneinander vorbei. Das schmerzt vor allem die Männer.
    Vinays Begründung für seine Anwesenheit hier ist natürlich ausgesprochen originell und jederzeit auf viele Lebensbereiche – jenseits allen Eros – übertragbar: »Jeder Tag soll enthusiastisch sein.« Das ist ein Kinderwunsch, aber wenn Erwachsene es schaffen, sich immerhin zweimal die Woche enthusiastisch zu fühlen, dann hätte sich die Investition Vipassana gelohnt. Man stelle sich vor: Mehrmals pro Monat bricht Enthusiasmus im Kummerland Deutschland aus! Das klingt wie Märchenfunk.
    Den halben Nachmittag sitze ich bei Harisingh. Er hatte ein gutes Leben, sagt er. Verbrachte viele Jahre in Afrika, um als Experte den Bau von Straßen zu leiten. Bis er alle seine Träume erfüllt hatte: einen gehobenen Mittelklasse-Wohlstand mit Haus, Familie, mit Auto, Ansehen und Konto. Und – ganz der Tradition verpflichtet – plötzlich jedes Interesse daran verlor und auf alles verzichtete. Er ordnete seine letzten »weltlichen« Angelegenheiten, verteilte alles an seine Frau und die Kinder und – verschwand. Hierher. Um als Hausmeister, Faktotum und »Dhamma Server« tätig zu sein. Eben anderen zu helfen, ja zu »dienen«. Er befinde sich genau an dem Ort, bemerkt er versonnen, an dem er sein wolle.
    Ich frage ihn, warum eine der beiden Französinnen verschwunden ist. Nun, sie habe die Helfer um immer mehr Decken für die Nacht gebeten. Irgendwann wurde sie gefragt, wozu sie die zwölf Stück benötige. »Um mich vor meinen Verfolgern zu schützen«, so die einfache Antwort. Harisingh hat daraufhin mit ihr gesprochen, ihr eindringlich geraten, sich in medizinische Behandlung zu begeben. Denn hier sei der gänzlich falsche Ort, um ihr Leiden zu lindern. Die Moral von der Geschicht? Vipassana ist ein Kraftsport. Wer labil ist, muss zuerst fit werden, ok, leidlich fit. Sonst besteht die Gefahr, dass ihn die Stille in Tiefen reißt, die ihn überwältigen.
    Der 80-Jährige weiß abstruse Anekdoten. Schließlich hat er nicht wenige Männer und Frauen hier einziehen sehen. Einmal kamen eine Mutter und ihr Sohn. Die Inderin schien während der ganzen Zeit todunglücklich. Bis sie am letzten Tag bei Harisingh beichtete: der Sohnemann habe ihr mit Selbstmord gedroht, falls sie nicht teilnehmen würde. Die nächste Moral? Vipassana hat etwas mit Freiheit zu tun. Jemanden zu seinem Glück zu zwingen, maßvoller formuliert, jemanden zu Hilfsaktionen gegen sein Unglück zu nötigen: Das endet in nackter Wut. Oder im Schluchzen einer Mutter.
    Als Ergänzung liefert Harisingh noch die folgende Geschichte: Erleuchtete Vorgesetzte haben den Wert von Vipassana für die hiesigen Polizeikräfte (Varanasi und Umgebung) erkannt. Um deren Gewaltbereitschaft einzudämmen und anders mit dem Volk umzugehen als mit Arroganz und Lathi-Stock. Und so wurde in regelmäßigem Abstand ein Trupp Bullen hierher geschickt. Auf dass sie Maß und Respekt verinnerlichten.
    Und die meisten kamen und saßen. Bis zum
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