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Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!

Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!

Titel: Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!
Autoren: Andreas Altmann
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wissen alle, dass man am Abend nicht denselben Fluss durchquert, den man morgens passiert hat. Nicht ein selber Tropfen wie vor zwölf Stunden. Und trotzdem, hundert Mal trotzdem, im richtigen Leben, im sinnlich erfahrbaren Leben, ist er der vollkommen gleiche Strom: noch immer bedrohlich, noch immer reißend, noch immer werde ich nass wie um sechs Uhr früh.
    Warum zum Teufel soll es kein ICH geben? Und warum ist es nicht permanent? Seit Jahrzehnten mag ich Bäume, Bächlein, Sex, Bücher, Schönheit, Lederjacken, Regen, Papier, Haut, Zauberer, Schlittschuhfahrer, Prometheus, Michael Jackson, Tilda Swinton, Rumpsteak mit Champignons und saubere Fingernägel. Und ein paar Millionen andere Zustände und Gegenstände, ein paar Tausend andere Männer und Frauen sind mir auch noch nah. Und nichts hat sich daran geändert. Immer war es mein Ich, das sich für den oder die oder das entschied. Und natürlich – wer denn sonst? – hat mich mein ICH dazu gebracht, hier im indischen Outback aufzukreuzen.
    Nun verweisen die Erleuchtungs-Optimisten auf die Tatsache, dass es doch Erleuchtete in der Geschichte gab, dass sie tatsächlich existierten. Menschen eben, die irgendwann ihr Ego erledigten und es verwandelten, das hässliche Ding, in namenlose Liebe, namenlosen Gleichmut. Glaube ich sofort. Aber mein Ich befindet sich nicht darunter. Ich bin zu schwach, zu minderbegabt für derlei metaphysische Glanzleistungen.
    Nehmen wir Mozart, das Übergenie, die Leuchtrakete, der bis zum Jüngsten Tag die Welt mit seiner Kunst berauschen wird. Auf seine Art ein Mega-Erleuchteter. Kein Liebesgott, doch ein Musikgott. Man kann ihm nur zuhören und niederknien. Aber werden wie er kann man nicht. Und hätte man mich als Vierjährigen ans Piano gekettet und meinen Lehrer mit einer Uzi MP7 ausgerüstet: Mehr als ein Bar-Klimperer wäre aus mir nicht geworden. So wenig wie heute ein Liebesapostel aus mir wird, ein Mandela, ein Gandhi, ein Vivekananda. Was mich allerdings von so manchem Erleuchtungs-Süchtigen unterscheidet, immerhin, ist meine (diesbezügliche) Bescheidenheit. Ich kenne meine Grenzen und spüre, wie die schwungvollen Ansprachen zur »letztendlichen Ichlosigkeit«, die unaufhaltsam Richtung Nirwana zieht, arg an meinen Nervenspitzen zupfen.
    Seltsamerweise nicht bei Goenka. Er hat ja zwei Generationen lang bewiesen, dass er nicht als Sonntagsredner unterwegs ist, sondern als einer, der sich nicht schont. Auch nicht den Linkischen gegenüber, auch nicht bei jenen, deren Aufgeblasenheit nicht zur Erleuchtung, eher zur Verdunkelung der Welt beiträgt. Aber der gute Mensch aus Mumbai (und die anderen 6,5 Milliarden) müssen damit leben, dass meine »deep-lying impurities«, meine tiefliegenden Verschmutzungen, mich noch eine Weile begleiten werden. Beruhigend dabei nur das Wissen, für mich zumindest, dass ich mit der Bürde nicht allein bin. Auch das offenbart Vipassana: wie wir uns ähneln, wie das Unvollkommene uns näherbringt als die Vollkommenheit.
    Die letzte Zellennacht. In Amerika habe ich zum ersten Mal den Ausdruck »disruptive experience« gehört. Die Frau, die ihn benutzte, erklärte, dass es sich um eine Erfahrung handle, die »stört«. Vor allem die Komfortzonen im Hirn. Da, wo das Gemütlichkeits-Gen liegt, die Trägheits-Drüse, die dafür sorgt, dass wir – bei gleichzeitiger Zunahme des Körpergewichts – geistig schwer abnehmen, sprich, immer schafsnasiger den obersten Schafsnasen zuwinken.
    Vipassana ist so eine »disruptive« Erfahrung. Sie verstört, erinnert jeden daran, dass er zu keiner Ja-blökenden Herde gehören will. Man könnte diese Übung der Achtsamkeit als Impfbombe im Kampf gegen die Infantilisierungs-Epidemien einsetzen, denen wir ausgesetzt sind. (Während ich diese Zeilen schreibe, Monate später, lese ich als Aufmacher auf der Startseite von Yahoo, meinem Email-Provider: »Promi-Gaudi auf der Wiesn«. Das ist die phänomenalste Nachricht aus der großen weiten Welt an diesem 23. September 2009, um 7.23 Uhr. Sie ist verräterisch. Dauergrinsende, mit bayerischen Maßkrügen schunkelnde Celebrities sollen uns in Atem halten. Schon verblüffend, für wie stupide, für wie genügsam wir inzwischen gehalten werden.)
    Ich sitze auf der Holzpritsche, mache Notizen, lese, verbleibe hagentreu in der Gegenwart. Nur einmal strauchle ich. Kurz vor Mitternacht denke ich an den nächsten Tag und an den Hotelbalkon, auf dem ich einen Zigarillo rauchen und schier blöd vor Freude auf jenen Knopf
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