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Das Mädchen aus der Pearl Street

Das Mädchen aus der Pearl Street

Titel: Das Mädchen aus der Pearl Street
Autoren: Dorothy Gilman Butters
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1. KAPITEL
     
     
    Die Abschlußfeier für dieses Schuljahr und vor allem zu Ehren der obersten Klasse, die heute zum letztenmal hier in der Aula versammelt war, neigte sich ihrem Ende zu. Als Kittys Name aufgerufen wurde und sie langsam zum Podium ging, um ihr Abschlußzeugnis in Empfang zu nehmen, war sie zum tausendsten Male froh darüber, daß es endlich mit der Schule aus und vorbei war. So sehr sie sich auch bemühen mochte, sie konnte sich an kein einziges frohes, sorgloses Erlebnis während dieser Zeit erinnern, das wert gewesen wäre, als besonderes Andenken für spätere Jahre bewahrt zu werden. Zwar sollte ihr Name für immer im Ehrenbuch der Schule eingetragen bleiben, aber um liebe Erinnerungen anzusammeln, dazu brauchte man Muße, und Kitty war ständig zu gehetzt gewesen, um auch nur zu sich selbst zu finden. Zwischen der letzten Unterrichtsstunde am Nachmittag und dem Beginn ihrer Arbeit in der Eisdiele Derby waren ihr kaum genügend Minuten geblieben, um den Weg dorthin im Laufschritt zurücklegen zu können. Ihre Hausaufgaben hatte sie stets schlecht und recht irgendwann einmal zwischen dem Füllen von Eiswaffeln oder Schlemmerbechern erledigen müssen.
    Sie war heilfroh, daß sie es nun soweit geschafft hatte. Sie atmete heimlich auf, während sie sich der Reihe ihrer Mitschüler anschloß und so wie diese automatisch die Gesichter freundlich anlächelte, die aus den Zuschauerreihen voll Neugierde heraufstarrten.
    „Mensch, was für ’ne Parade!“ flüsterte Piccolo Boswell, der an ihrer Seite aufmarschiert war. Sie versetzte ihm heimlich einen freundschaftlichen Knuff. Sie und Piccolo hatten während des vergangenen Jahres mehrere Fächer gemeinsam belegt gehabt und folglich manche Stunde miteinander abgesessen.
    „Falls es dir noch nicht auf gegangen sein sollte“, mokierte er sich unauffällig weiter, „Dr. Harcourt hat voriges Jahr wortwörtlich die gleiche Rede geschwungen wie heute!“
    „So was erwähnt man nicht“, tadelte sie ihn scherzhaft.
    „Mein liebes Kind, die Wahrheit ist selten schmeichelhaft!“ Seine Augen lachten wie zwei Kobolde, und beinahe hätte auch sein Mund sich zu einem echten Lausbubengrinsen verzogen. Doch in diesem Moment richtete einer der Lehrer den Blick auf ihn, worauf Piccolo sein Gesicht schleunigst auf Null zu stellen verstand und ergeben wie ein Märtyrer den weiteren Verlauf des Programms erwartete.
    „Dean Tracy!“ fuhr der Direktor mit dem Verlesen der Namen fort. Kitty drehte den Kopf, um Dean die Stufen heraufkommen zu sehen; sie gab sich dabei nicht einmal Mühe, die schwärmerische Sehnsucht in ihren Augen wenigstens einigermaßen zu verbergen.
    „Wenn ich ihm nur ein Bein stellen könnte!“ hörte sie neben sich Piccolo zwischen den Zähnen hervorzischen. Sie wußte, daß er dies nicht etwa aus Feindschaft gegen den Klassenkameraden sagte, sondern einfach darum, weil er als Witzbold des gesamten Jahrganges niemanden ungeschoren ließ. Jeder lachte gern mit und über diesen rothaarigen, schlaksigen Bengel, dessen Spitzname so humorvoll war wie er selbst, denn dieser „Piccolo“ strebte in seiner Länge bereits mit Erfolg der Zweimetergrenze zu.
    „Außerdem trägt dieser Bursche die gleiche Krawatte wie ich“, lästerte er weiter, „er hat das verflixte Ding bereits seit Weihnachten am Hals!“
    Kitty interessierte sich nicht für den Schlips und im Augenblick genausowenig für Piccolos Witzeleien. Sie starrte Dean unentwegt an, so als müsse sie ihn ein einziges Mal noch mit ihrem Blick erfassen und sein Bild ganz in sich aufnehmen, denn vermutlich würde sie ihn nach dem heutigen Tag für immer aus den Augen verlieren. Dean sah aus wie ein junger Gott, fand sie, breitschultrig, dunkelhaarig, muskulös und braungebrannt. Er war der erste Stürmer seiner Fußballmannschaft, Klassenführer, Eliteschüler und vor edlem ein ganzer Kerl. Dean vereinigte einfach alles Bewunderungswürdige und für einen jungen Mann Erstrebenswerte in seiner überaus charmanten Persönlichkeit, und Kitty, die sich selbst vom Schicksal recht vernachlässigt fühlte, hatte vier Jahre lang heimlich für ihn geschwärmt und jedes Mädchen glühend beneidet, das sie neben ihm den Flur entlanggehen sah.
    „Eine typische Backfischverknalltheit!“ versuchte sie ihre leidenschaftliche Bewunderung für ihn selbst zu belächeln, denn Kitty war klug genug, um zu erkennen, daß sie sich schwerlich ein für sie unerreichbareres Idol hätte wählen können.
    Der letzte
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