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Das Mädchen aus der Pearl Street

Das Mädchen aus der Pearl Street

Titel: Das Mädchen aus der Pearl Street
Autoren: Dorothy Gilman Butters
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Bahnhof zu, und dann kam eine Gegend, die viel spärlicher erleuchtet war. Die bisher wohlhabend wirkenden Häuser machten ein paar Tankstellen Platz, dann schob sich ein Schuppen dazwischen, der zur Güterabfertigung gehörte, dann kam ein Lagerhaus und das Gebäude der Wasserversorgung. Dahinter mußte man unter einer Unterführung hindurchgehen und kam gleich darauf in die Pearl Street. Bei Nacht konnte man diese Straße kaum von den andern unterscheiden. Die Häuser standen wie viereckige Quader zu beiden Seiten, jedes hatte einen kleinen Hof oder Garten ringsum, und die Fenster leuchteten hell. Man mußte schon einmal während des Tages hier vorbeigekommen sein, dann vergaß man nicht, wie baufällig diese Häuser waren, wie die Veranden zum Teil schief hingen, wie die Fensterscheiben zersplittert waren oder ganz fehlten und wie das, was eine Rasenfläche vorstellen sollte, nichts anderes war als ein Flecken niedergetretener Erde, hart wie Stein im Sommer und zähflüssiger Schlamm im Frühjahr. Das war Pearl Street. Familie Boscz wohnte in Nummer 9, dem immer noch am wenigsten schäbigen Haus im Block.
    Bei Nummer 9 bogen Kitty und ihre Mutter also in den sogenannten Vorgarten und vermieden nach alter Gewohnheit die hölzerne Stufe, die auf die Veranda führte, weil sie seit Jahren angefault war. Von der Veranda trat man direkt ins Wohnzimmer.
    Dieser Raum wurde durch eine einzige Birne erleuchtet, die an ihrem Draht von der Decke baumelte und alles in einen unangenehmen Kontrast von grellem Licht und harten Schatten tauchte. Danny lag auf der Couch und sah sich eine Fernsehsendung an. Der Apparat hatte einen Bildschirm von nur 25 cm diagonal gemessen, und er war aus zweiter Hand gekauft, aber jeder in der Familie erinnerte sich gern und dankbar an jenen Abend, als Mutter ihn zur Überraschung aller heimgebracht hatte. Besonders Kitty konnte ihn nie vergessen, weil sie sich da ausnahmsweise einmal alle vier als richtige Familie gefühlt hatten. Alle, sogar Thomas! Neben Danny stand auf dem Linoleumteppich ein Teller mit Krapfenteigkringeln, genannt Dough-Nuts, und ein Glas Milch. Als er Mutter und Schwester eintreten hörte, rief er:
    „Jetzt kommt Miß Schulabschluß!“
    Kitty lachte, und Mutter neigte sich voll Freude zu dem Buben hinunter.
    „Schau, Danny, was wir haben! Schokoladeneiscreme! Du magst doch Eiscreme-Soda?“
    „Fein, fein!“ freute auch er sich und stand auf, ein hochgeschossener, magerer Junge von fünfzehn Jahren, der fast beängstigend erwachsen und reif für sein Alter wirkte. „Fein, Mam! — Wie war’s Kitty?“
    „Toll!“
    Er maß sie mit einem langen, verstehenden Blick.
    „Sicher“, murmelte er dann und beeilte sich, in die Küche zu laufen und drei Gläser zu holen.
    „Nur drei?“ stammelte Mrs. Boscz, und ihre Hand faßte nach ihrer Kehle, als habe sie plötzlich mit dem Atmen Schwierigkeiten. „Thomas--, wo ist er?“
    „Ausgegangen“, erwiderte Danny kurz.
    „Oh--ich verstehe--“
    „Nein, Mam“, beruhigte Danny, „er ist eingeladen worden. Mr. Petrucci war hier und fragte, ob Thomas ihm helfen könne, seinen neuen Fernsehapparat anzuschließen — es ist ein 75-Zentimeter-Monstrum. Mensch, Kitty, das Ding müßtest du sehen! Wie Kintopp! Junge, Junge!“
    Kitty lächelte. Wenn es so war, brauchte man sich keine Sorge zu machen. Mr. Petrucci war Mutters Chef, er wußte alles über Thomas. Ihm konnte man vertrauen, und man wußte, daß er dem Bruder ein paar Dollar für die Hilfe zahlen würde und ihn hoffentlich für den Rest des Abends beschäftigte, damit er nachher direkt heimkäme, statt sich mit seiner üblen Clique herumzutreiben.
    „Es passiert nicht oft, daß Mutter einen freien Abend hat“, sagte Kitty laut, „laßt uns ein richtiges Fest daraus machen!“
    Sie gingen alle miteinander ins Eßzimmer hinüber und stellten ihre Gläser auf den runden Tisch unter dem Glaslüster, der sie vor Jahren, als sie noch kleine Kinder waren, regelrecht bezaubert hatte, weil die Früchte aus buntem Glas, die daran baumelten, bei Licht so echt wirkten, als könne man in sie hineinbeißen.
    „Wir müssen eine Portion für euren Bruder aufheben“, erinnerte Mutter ernst, während sie Kitty beim Verteilen der Eiscreme zuschaute.
    „Glaubst du, daß das Zeug sich hält, Mutter?“ gab Kitty zu bedenken.
    „Oh, ich hoffe, er bleibt nicht allzulange aus“, meinte Danny zuversichtlich.
    Frau Boscz strahlte ihre beiden Kinder an.
    „Das hier ist angenehmer, als den
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