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Word-OleSte-DerTou

Word-OleSte-DerTou

Titel: Word-OleSte-DerTou
Autoren: Unbekannt
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Roman
    OLEN STEINHAUER
    DER TOURIST
    Aus dem Amerikanischen von Friedrich Mader
    Die Originalausgabe erschien unter dem Titel The Tourist bei St. Martin's Minotaur, New York.
    Für Margo
    Nie wieder Tourist
    Montag, 10. September bis
    Dienstag, 11. September 2001
    1
    Vier Stunden nach seinem gescheiterten Selbstmordversuch senkte sich die Maschine auf das Aerodrom Ljubljana herab. Ein Signalton erklang, und über seinem Kopf leuchtete das Gurtzeichen auf. Die Schweizer Geschäftsfrau neben ihm schnallte sich an und blickte durch das Fenster hinaus in den klaren slowenischen Himmel. Eine knappe Abfuhr gleich am Anfang hatte gereicht, um sie davon zu überzeugen, dass der zappelige Amerikaner neben ihr kein Interesse an einer Unterhaltung hatte.
    Der Amerikaner schloss die Augen und kehrte zu den Ereignissen am Vormittag in Amsterdam zurück: Schüsse, zerschmettertes Glas und zersplittertes Holz, Sirenen.
    Wenn Selbstmord Sünde ist, überlegte er, was ist er dann für jemanden, der nicht an Sünde glaubt? Eine Vergewaltigung der Natur? Wahrscheinlich, denn wenn es überhaupt ein unabänderliches Naturgesetz gibt, dann ist es der Drang, weiterzuexistieren - siehe Unkraut, Küchenschaben, Ameisen und Tauben. Alle Geschöpfe folgen einem gemeinsamen Ziel: Sie wollen am Leben bleiben. Das ist die einzige unbestreitbare Theorie für alles.
    In den vergangenen Monaten hatte er sich so ausführlich mit Selbstmord auseinandergesetzt und ihn aus so vielen Blickwinkeln betrachtet, dass die Vorstellung jeden Schrecken verloren hatte. Der Ausdruck »Selbstmord begehen war für ihn nicht tragischer als »frühstücken« oder »laufen«, und das Verlangen, Schluss zu machen, war oft genauso stark wie seine Sehnsucht nach Schlaf.
    Manchmal war es ein passiver Impuls - ohne Gun wild durch die Gegend kurven oder blind über eine viel befahrene Straße marschieren -, doch in letzter Zeit fühlte er sich eher verpflichtet, selbst die Verantwortung für seinen Tod zu übernehmen. Seine Mutter hätte von der »großen Stimme« gesprochen. Da ist das Messer, du weißt, was du zu tun hast. Mach das Fenster auf und versuch zu fliegen. Heute um halb fünf Uhr früh, während er in Amsterdam auf einer Frau lag und sie zu Boden drückte, als ihr Schlafzimmerfenster im Feuer automatischer Waffen zerbarst, hatte es ihn dazu gedrängt, aufzuspringen und sich dem Kugelhagel entgegenzustellen wie ein Mann.
    Die ganze Woche über hatte er in Holland eine von den USA unterstützte sechzigjährige Politikerin bewacht, auf die nach ihren Äußerungen zur Einwanderungspolitik ein Kopfgeld ausgesetzt worden war. An diesem Morgen hatte der Auftragskiller, der in bestimmten Kreisen als » Tiger« bekannt war, seinen dritten Mordversuch unternommen. Wäre sein Anschlag gelungen, hätte er damit die Abstimmung des niederländischen Parlaments über die konservative Gesetzesvorlage der Politikerin zu Fall gebracht.
    Wie die Existenz dieser Politikerin - einer Frau, die die Vorurteile verängstigter Bauern und verbitterter Rassisten bediente und damit Karriere gemacht hatte - seinem Land in die Hände arbeitete, war ihm völlig schleierhaft. Wie formulierte es Grainger immer so schön? »Ein Imperium zu behaupten, ist zehnmal schwieriger, als es zu erobern.«
    Rationale Begründungen zählten in seinem Metier nicht.
    Handeln war reiner Selbstzweck. Doch während die Frau unter ihm kreischte und der Fensterrahmen mit einem prasselnden Geräusch wie von einer Fritteuse zerfetzt wurde, war ihm durch den Kopf geschossen: Was treibe ich hier überhaupt? Er hatte sogar schon die Hand auf den von Holzsplittem übersäten Teppichboden gestützt, um sich aufzurichten und dem Attentäter von Angesicht zu Angesicht gegenüberzutreten. Doch dann hörte er mitten in dem Getöse das fröhliche Zirpen seines Handys.
    »Was ist?«, rief er ins Telefon.
    »Stattlich und feist«, meldete sich Tom Grainger. »Erschien Buck Mulligan.«
    Der gebildete Grainger hatte die Anfangszeilen von Romanen zu Codes umfunktioniert. Der Joyce-Schlüssel besagte, dass an einem anderen Ort ein neuer Einsatz auf ihn wartete. Aber für ihn gab es längst nichts Neues mehr. Die gnadenlose Routine aus Städten, Hotelzimmern und verdächtigen Gesichtern, die schon seit viel zu vielen Jahren sein Leben bestimmte, war langweilig bis zum Überdruss. Würde das denn nie ein Ende nehmen?
    Also schaltete er das Handy ab und forderte die kreischende Frau auf, liegen zu bleiben. Dann rappelte er sich hoch
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