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Das Mädchen aus der Pearl Street

Das Mädchen aus der Pearl Street

Titel: Das Mädchen aus der Pearl Street
Autoren: Dorothy Gilman Butters
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Hauptgrund zum Heimgehen darin bestand, Mutter nicht in ein Kaffee mitnehmen zu müssen. Kitty fühlte sich innerlich ständig wegen des Verhältnisses zu ihrer Mutter hin und her gerissen. Heute nachmittag hätte sie zum Beispiel vor Rührung weinen können, als Mutter ihr eröffnete, daß sie sich für die Schulfeier freinehmen wolle. Man stelle sich vor! Mutter brachte das Opfer eines Lohnausfalles für einen ganzen Abend, um zugegen sein zu können, wenn ihrer Katherine das High School-Diplom ausgehändigt würde! Aber dann hatte sich neben der Rührung und der Freude doch auch gleich wieder in Kitty jenes häßliche Gefühl der Erniedrigung geregt, der Scham wegen der billigen Kleidung ihrer Mutter, ihrer Unbeholfenheit und ihrer rauhen, grobknochigen Hände. Jedermann konnte auf den ersten Blick erkennen, daß Mutter ihre Zeit nicht im Bridgeklub und bei Zusammenkünften von Frauenvereinen verbrachte. Am allerpeinlichsten aber war Kitty Mutters tschechischer Akzent in der Aussprache des Englischen.
    „Komm, wir wollen gehen, bevor sich die Massen in den Gang wälzen“, versuchte sie zu scherzen. Die Mutter nickte und schickte sich gehorsam an, durch den noch leeren Korridor dem Ausgang zuzusteuern. Kitty hörte, wie das Orchester bereits die Instrumente stimmte, und erhaschte einen Hauch vom Duft eines Korbes voll frischer Gardenien. Abendkleider! Blumenkotillon! Dean Tracy! Dann schlug die schwere Eichentür hinter ihr zu.
    „Moment, Mam“, sagte sie und hoffte, Mutter würde die Bitterkeit in ihrer Stimme nicht bemerken, „ich glaube, es ist Zeit, daß ich nun den albernen Hut absetze und die Robe ausziehe.“
    „Ja, es ist besser“, stimmte Mutter zu; „fünf Dollar Leihgebühr für die paar Stunden, da wollen wir nicht noch riskieren, daß etwas an den Sachen kaputtgeht.“
    „Ich weiß!“ Ärgerlich zog Kitty das Gewand aus und schürte ihre Mißstimmung mit einer weiteren Dosis Bitterkeit, als unter der schwarzen Robe sich kein neues, duftiges Festkleid verbarg, wie bei den andern Mädchen, sondern ihr alter Sonntagsrock vom vergangenen Jahr mitsamt dem Kaffeefleck auf der vorderen Falte zum Vorschein kam.
    „Na ja, so leb denn wohl, Schule!“ zwang sie sich zu einem leichtfertigen Ton und hängte sich bei der Mutter ein, „lebt wohl, Bücher, Lehrer--“
    „Vergiß ja nicht, die Robe sofort morgen früh zurückzutragen“, mahnte die Mutter, „wir müssen sonst doppelt bezahlen.“
    „Ja, ja, aber all solche Pflichten drücken längst nicht so wie Hausaufgaben“, antwortete Kitty möglichst vergnügt und führte Mutter an der funkelnden Reihe geparkter Autos vorüber zu der Straße hin, die ins Stadtzentrum führte. Sie kaufte die Eiscreme und drei Flaschen Sodawasser, und als sie danach wieder zu ihrer Mutter trat, sah sie ein müdes, aber frohes Lächeln in den sonst immer so trüben Augen.
    „Ein echter, rechter Festtag, Katherine“, sagte sie feierlich. „Du solltest dir öfter einmal einen gönnen, Mam“, meinte Kitty dazu, aber sie wußte nur zu gut, daß Mutter nicht einmal daheimbleiben konnte, wenn sie krank war.
    „Ich habe Schokoladeneiscreme genommen und drei Flaschen Sodawasser, ist das so recht?“
    Meine Art, Schulabschluß zu feiern, dachte sie dabei grimmig und sah im Geist all die Luftballons und bunten Papiergirlanden in der Turnhalle und ihre bisherigen Gefährtinnen in duftigen, pastellfarbenen Tanzkleidern am Arm ihrer Verehrer—Ellen Crawford und Dean Tracy!

    „Fein, Katherine“, freute sich Mutter weiter, „du bist ein gutes Kind, Katherine. Ich hätte mir kein besseres wünschen können. Wie stolz wäre dein Vater heute auf dich gewesen...“
    „Sicher, Mutter“, murmelte Kitty, und plötzlich war das Bild des bunten Ballsaales verblaßt. Es erschien wie ein Geschenk, Mutter heute abend daheim zu haben, trotz aller Konflikte. Schließlich war es nicht Mutters Schuld, daß Kitty seit ihrem 15. Geburtstag hatte mitverdienen müssen und daß sie vor lauter Arbeit in der Eisdiele keine Zeit für die Tanzveranstaltungen und gesellschaftlichen Vergnügungen hatte finden können, die für andere ihres Alters im Mittelpunkt alles Interesses standen und im High School-Leben schier wichtiger erschienen als Klassenarbeiten und Zeugnisse.
    „Es war lieb von dir, daß du gekommen bist“, schloß sie ihre Gefühle in ein paar herzliche Worte für Mutter und hängte sich bei ihr ein wie früher so oft, als sie noch klein war.
    Die Straße führte bergab gegen den
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