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Das Mädchen aus der Pearl Street

Das Mädchen aus der Pearl Street

Titel: Das Mädchen aus der Pearl Street
Autoren: Dorothy Gilman Butters
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Name wurde verlesen, und endlich hatte auch dieser Schüler sein Diplom in Empfang genommen. Piccolos Vater, Pfarrer Boswell, trat nun aufs Rednerpult und richtete noch einige Abschiedsworte an die scheidenden Schüler. In wenigen Minuten sollte alles vorüber sein, und plötzlich tat es Kitty leid, daß sie das Rad der Zeit nicht anhalten und um vier Jahre zurückstellen konnte. Das Schicksal verfuhr offensichtlich wieder einmal ungerecht mit ihr. Wenn es Kitty nicht gelang, in Kürze genug Geld zu verdienen, um damit einen Handelskursus bezahlen zu können, dann war diese Schule die letzte Gelegenheit zu einem geregelten Unterricht für sie gewesen. Piccolo und Dean und die meisten der übrigen Schulentlassenen würden allesamt nach ein paar Ferienwochen in ein College gehen und dann eine Universität besuchen; für sie war der heutige Tag ein Anfang und nicht das Ende wie für Kitty. Bitterer Neid stieg in ihr auf und ließ sie zu ihrer ursprünglichen Einstellung zurückkehren und froh sein, daß nun die Schulzeit vorüber war, damit sie nicht ständig sehen mußte, wieviel besser es andern erging. Alles hier war nun für immer aus und vorbei samt ihren kindischen Träumereien für und um Dean Tracy.
    Die Zuschauer erhoben sich von ihren Plätzen, und die lange Reihe der Schulentlassenen konnte sich erleichtert in plaudernde Gruppen aufteilen, bis Kitty ganz allein dastand. Sie bahnte sich einen Weg zum Rand des Podiums und hörte hinter sich ein Mädel rufen: „He, Kitty Boscz, kommst du mit zum Abschlußball?“
    Leider mußte sie den Kopf schütteln, aber zum Glück gelang ihr ein verkrampftes Lächeln. In der Hast, so schnell wie möglich dem festlichen Gedränge zu entkommen, wäre sie beinahe mit Dean Tracy zusammengestoßen. Ein törichtes Glücksgefühl wallte in ihr auf und trieb ihr das Blut ins Gesicht. Trotz oder gerade wegen ihrer Verlegenheit darüber schritt sie hocherhobenen Hauptes zur Tür. Aber noch ehe sie den rettenden Ausgang erreicht hatte, trat ihr Mrs. Roget, ihre Englischlehrerin, in den Weg.
    „Leb wohl, Kitty“, sagte sie warm. „Kitty, Liebes, ich werde dich sehr vermissen. Du bist ein sehr begabtes Mädchen, das weißt du, und wir alle haben große Hoffnungen für deine Zukunft.“
    „Oooh--danke“, stammelte Kitty und bekam gleich wieder einen roten Kopf.
    Mrs. Roget tätschelte sie mütterlich.
    „Ich wollte dir nur sagen, daß ich dich gern in meiner Klasse hatte. Für Abschiedsschmerz ist heute keine Zeit. Nun lauf zum Ball und amüsiere dich von Herzen I“
    Kitty nickte und drückte sich dann weiter durch die Menschenmenge. Irgendwo flammte ein Blitzlicht auf, und Kitty kam gerade zurecht, um zu sehen, wie Ellen Crawford sich mit ihrem blasiertesten Gesicht in Positur warf, auf daß das Familienalbum, in dem schon ungezählte Photos mit Unterschriften wie „Ellen als Säugling“ — „Ellens erster Hund“ — „Ellens erster Schwimmunterricht“ prangten, nun um eine weitere Aufnahme bereichert würde, die Ellen in der langen schwarzen Robe und der einem Doktorhut gleichenden Kopfbedeckung präsentierte, mit der sich in Amerika die Achtzehnjährigen zum Zeichen ihrer Würde als Absolventen der High School 1 schmücken. Kam vielleicht im Laufe des Abends noch ein weiteres Bild zustande, das Ellen zusammen mit Dean Tracy beim Tanz auf dem Abschluß -ball verewigen sollte? Mit sehnsüchtigem Blick hingen Kittys Augen an der Gruppe der vom Schicksal so Begünstigten. Dann riß sie sich mit Gewalt los und ging auf ihre Mutter zu, die in der hintersten Ecke der Aula stand und auf sie wartete, sehr klein und sichtlich verängstigt. Kitty beeilte sich, jede Spur ihrer Unzufriedenheit aus ihrem Gesicht zu verbannen und lächelnd ihrer Mutter zuzuwinken.
    „Servus, Mam!“ rief sie.
    „Es war sehr schön“, sagte Mutter, „sehr schön, Katherine. Willst du nicht lieber mit deinen Freunden weiterfeiern?“
    „Aber Mutter! Natürlich nicht! Wo du dir doch den heutigen
    Abend eigens für mich freigenommen hast! Komm, wir kaufen ein Paket Eiscreme und machen uns dann daheim die allerleckersten Eiscreme-Sodas à la Derby!“
    „Das wäre schön, sehr schön, Katherine“, freute sich Mutter und legte sorgfältig den Riemen ihrer nagelneuen Lackhandtasche über den Arm. Sie fand den Vorschlag vor allem darum gut, weil auf diese Weise auch Kittys Brüder Danny und Thomas an der Feier teilhaben konnten, während Kitty sich beschämt eingestehen mußte, daß für sie der
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