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Pandoras Tochter

Pandoras Tochter

Titel: Pandoras Tochter
Autoren: Iris Johansen
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P ROLOG
    Stimmen.
    Megan spürte, wie sich ihr Magen verkrampfte, und sie versuchte, die Angst auszublenden. Mama sollte nichts merken. Mama war heute Nachmittag so fröhlich und entspannt gewesen. Megan wollte ihr das nicht verderben.
    »Warum so still?« Ihre Mutter begann, die Sachen in den Picknickkorb zu packen. »Worüber denkst du nach?«
    Stimmen.
    Megan suchte fieberhaft nach einer Antwort. »Ich wünschte, Neal wäre mitgekommen. Hast du ihn nicht eingeladen?«
    »Nein, zum Kuckuck. Ich wollte einen Mutter-Tochter-Nachmittag. Neal möchte immer das Geschehen beherrschen.« Sie lächelte verschmitzt. »Er bekommt immer deine ganze Aufmerksamkeit. Aber verübeln kann ich dir das nicht. Als ich ihm das erste Mal begegnet bin, erinnerte er mich an ein Porträt von einem Renaissance-Prinzen, das ich einmal in einem Museum in Florenz gesehen habe. Sehr elegant und ein wenig einschüchternd.«
    Schalte diese Stimmen aus. Gütiger Gott, sie wünschte wirklich, sie könnte sie verscheuchen. »An Neal ist nichts einschüchternd. Wie kannst du so was sagen?«
    »Hey, ich greife ihn ja nicht an. War nur ein Vergleich.«
    Stimmen.
    Worüber haben wir gesprochen?, überlegte Megan. Konzentrier dich. Ach ja, stimmt – Neal. »Ich habe Neal gern um mich. Er ist witzig.«
    »Wenn er will. Aber ich bin froh, dass du ihn magst. Ich mag ihn auch. Er ist mir ein guter Freund.« Ihr Lächeln verblasste, während sie Megan musterte. »Du hörst mir gar nicht zu. Was ist denn los, Kleine?«
    »Nichts.«
    »Megan!«
    »Stimmen«, flüsterte Megan. »Mir gefällt es hier nicht, Mama. Ich höre Stimmen.«
    »Unsinn.« Ihre Mutter wandte den Blick abrupt ab. »Ich habe dir doch gesagt, dass du dir das nur einbildest.« Sie warf die Plastikbecher in den Korb. »Und es gibt keinen Grund dafür, dass du dich hier unwohl fühlst.« Sie setzte sich auf die Fersen und betrachtete die untergehende Sonne, die den Baggersee unter ihnen in ein goldenes Licht tauchte. »Hier ist es wunderschön. Wir haben ein Dutzend Mal hier oben gepicknickt, und du hast diese albernen Stimmen nie erwähnt. Hast du sie schon früher an diesem Ort gehört?«
    Megan nickte. »Aber du willst ja nicht, dass ich über sie spreche.«
    »Weil sie nicht existieren.« Sie streckte die Hände aus und legte sie an Megans Wangen. »Und du sollst nicht über Dinge reden, die es gar nicht gibt. Als du noch klein warst, hat das nicht so viel ausgemacht. Doch mittlerweile bist du fünfzehn, und die Leute achten mehr auf das, was du sagst. Diese Sache muss unter uns beiden bleiben.«
    »Sonst halten mich die Leute für verrückt.« Megan versuchte ein Lächeln. »Das kann ja auch nicht normal sein. Vielleicht bin ich wirklich verrückt. Was meinst du, Mama?«
    »Selbstverständlich bist du das nicht.« Sie beugte sich vor und hauchte Megan einen Kuss auf die Nase. »Wer legt die Grenzen fest? Wer kann wirklich sagen, was normal ist? Ich habe gehört, dass Komponisten ihre Musik im Kopf hören, und alle Welt nennt sie Genies. Wahrscheinlich wird sich diese Sache mit den Stimmen mit der Zeit verlieren.«
    »Das hast du schon gesagt, als ich sieben war.«
    »Und mittlerweile hörst du sie nicht annähernd so oft wie damals, oder?«
    »Stimmt.«
    »Und hast du nicht gesagt, dass sie nicht schreien, sondern flüstern?«
    Megan nickte.
    »Siehst du? Das ist doch ein Fortschritt. Und bis du einundzwanzig wirst, verschwinden sie ganz.«
    Megan runzelte die Stirn und schlug zaghaft vor: »Vielleicht … sollte ich eine Therapie machen.«
    »Nein«, wehrte die Mutter vehement ab. »Keine Ärzte. Wir reden mit niemandem darüber, verstanden?«
    Megan nickte, obwohl sie nicht verstand. Sie wusste nur, dass es ihrer Mutter gar nicht recht war, wenn sie über die Stimmen sprach. Vielleicht wollte sie einfach nicht wahrhaben, dass ihre Tochter … nicht normal war. Okay, belass es dabei. Könnte ja auch sein, dass die einfache Lösung des Problems, die ihre Mutter im Sinn hatte, die richtige war. Megan wollte ihre Mutter auf keinen Fall aufregen.
    »Schau nicht so düster.« Ihre Mutter strich mit der Fingerspitze über die zwei Linien auf Megans Stirn. »Du bekommst noch Runzeln wie ich.«
    »Du hast keine Runzeln. Du bist so hübsch.« Das stimmte. Sarah Nathan war nicht im herkömmlichen Sinne schön, aber ihr braunes Haar schimmerte im Schein der untergehenden Sonne, und das charaktervolle Gesicht strahlte Herzenswärme und Vitalität aus.
    »Ich habe jede Menge Runzeln. Aber wenn man
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