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Kanada

Kanada

Titel: Kanada
Autoren: R Ford
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    Zuerst will ich von dem Raubüberfall erzählen, den meine Eltern begangen haben. Dann von den Morden, die sich später ereigneten. Der Raubüberfall ist wichtiger, denn er war eine entscheidende Weichenstellung in meinem Leben und in dem meiner Schwester. Wenn von ihm nicht als Erstes erzählt wird, ergibt der Rest keinen Sinn.
    Meine Eltern waren die unwahrscheinlichsten Bankräuber der Welt. Sie waren keine verrückten Leute, keine offensichtlichen Kriminellen. Niemand hätte geglaubt, dass ihr Schicksal diesen Verlauf nehmen würde. Sie waren ganz normal – obwohl diese Aussage natürlich null und nichtig wurde, als sie tatsächlich eine Bank überfielen.
    Mein Vater, Bev Parsons, war ein Junge vom Land, geboren 1923 in Marengo County, Alabama. Als er 1939 die Highschool verließ, brannte er darauf, zum Army Air Corps zu gehen – der späteren Air Force. Er wurde in Demopolis aufgenommen, durchlief die Grundausbildung in Randolph bei San Antonio und landete dann, weil er zwar Kampfpilot werden wollte, aber nicht gut genug dafür war, bei den Bombenschützen. Er flog in den B-25 und den leichten bis mittelschweren Mitchells, die auf den Philippinen und später über Osaka eingesetzt wurden, wo sie Zerstörung auf die Erde regnen ließen – auf den Feind ebenso wie auf unschuldige Zivilisten. Er war ein großer, gewinnender, lächelnder, gutaussehender Einsdreiundachtziger (er passte kaum in seinen Waffenstand hinein) mit einem großen, eckigen, erwartungsvollen Gesicht, knubbligen Wangenknochen, sinnlichen Lippen und langen, attraktiven, femininen Wimpern. Seine Zähne waren weiß und schimmernd, und auf sein kurzes schwarzes Haar war er stolz – ebenso wie auf seinen Namen. Bev. Captain Bev Parsons. Er wollte nie zugeben, dass Beverly für die meisten Leute ein Frauenname war. Der Name habe angelsächsische Wurzeln, sagte er. »Ein ganz normaler Name in England. Vivian, Gwen und Shirley sind dort Männernamen. Die hält auch keiner für Frauen.« Er redete pausenlos, hatte für einen Südstaatler offene Ansichten und ein freundliches, entgegenkommendes Auftreten, das ihn bei der Air Force hätte weit bringen müssen. Hätte. Seine schnellen haselnussbraunen Augen suchten stets den Raum nach jemandem ab, der ihm Aufmerksamkeit schenkte – wie meine Schwester und ich, meistens. Er erzählte ranzige Witze in einem theatralischen Südstaatenstil, beherrschte Kartentricks und Zauberkunststücke, konnte seinen Daumen abdrehen und wieder festmachen, ein Taschentuch verschwinden und wieder auftauchen lassen. Er konnte Boogie-Woogie auf dem Klavier spielen, redete manchmal »Dixie«-Slang mit uns und manchmal wie die schwarzen Komiker aus Amos ’n Andy . Seine Einsätze in den Mitchells hatten sein Gehör etwas geschädigt, in diesem Punkt war er empfindlich. Aber mit seinem »ehrlichen« GI-Haarschnitt und seiner blauen Uniformjacke sah er fesch aus und verströmte meistens eine echte Wärme, deshalb liebten wir ihn, meine Zwillingsschwester und ich. Wahrscheinlich hatte das auch meine Mutter an ihm angezogen (obwohl sie im Vergleich zu ihm kaum hätte unterschiedlicher sein können, sie passten gar nicht zueinander); nach ihrem ersten hastigen Zusammensein, nachdem sie sich auf einer Party zu Ehren heimgekehrter Flieger kennengelernt hatten, wurde sie leider gleich schwanger. Das war im März 1945, er ließ sich in Fort Lewis zum Versorgungsoffizier fortbilden – weil ihn keiner mehr zum Bombenabwerfen brauchte. Sie heirateten sofort, als die Sachlage klar war. Ihre Eltern, jüdische Einwanderer aus Polen, die in Tacoma lebten, waren dagegen. Sie waren gebildete Mathematiklehrer und semiprofessionelle Musiker aus Posen, die dort gut besuchte Konzerte gegeben hatten, waren nach 1918 geflohen und über Kanada nach Washington State eingewandert, wo sie schließlich – ausgerechnet – Schulhausmeister wurden. Mittlerweile bedeutete es ihnen und auch meiner Mutter wenig, Juden zu sein, es war für sie lediglich eine alte Lebensweise voller Zwänge und Ansprüche, die sie gern hinter sich ließen in einem Land, wo es anscheinend keine Juden gab.
    Dass ihre einzige Tochter den lächelnden, redseligen einzigen Sohn schottisch-irischer Holzgutachter aus dem hinterwäldlerischsten Alabama heiraten könnte, war in ihrem Denken allerdings nicht vorgesehen, und so weigerten sie sich bald, auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden. Mit Abstand betrachtet könnte man sagen, unsere Eltern waren eben nicht füreinander
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