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Joel 1 - Der Hund der unterwegs zu einem Stern war

Joel 1 - Der Hund der unterwegs zu einem Stern war

Titel: Joel 1 - Der Hund der unterwegs zu einem Stern war
Autoren: Henning Mankell
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1
    Der Hund. Mit ihm hat alles angefangen.
    Wenn er den einsamen Hund nicht gesehen hätte, wäre vielleicht nichts passiert. Nichts von all dem, was dann so wichtig wurde und alles veränderte. Nichts von all dem, was zuerst so aufregend war und dann so unheimlich wurde.
    Alles hat mit dem Hund angefangen. Der einsame Hund, den er in jener Nacht im letzten Winter gesehen hatte. Plötzlich war er wach geworden. Er war aufgestanden und hinausgetappt in den Flur und hatte sich in die Fensternische gesetzt.
    Warum er mitten in der Nacht aufgewacht war, wußte er nicht. Vielleicht hatte er etwas geträumt? Oder hatte sein Papa geschnarcht, der im Zimmer nebenan schlief? Sein Papa schnarchte nicht oft. Aber manchmal kam plötzlich so ein einzelner Laut, fast wie ein Brüllen, und dann war es wieder still.
    Als er dort in der Fensternische im Flur saß, hatte er den Hund entdeckt. Die Fensterscheiben waren mit Eiskristallen bedeckt, und er hatte gegen das Glas gehaucht, um hinaussehen zu können. Am Thermometer hatte er abgelesen, daß es fast dreißig Grad unter Null waren. Und in dem Augenblick sah er den Hund. Er lief draußen die Straße entlang, ganz allein.
    Genau unter der Straßenlaterne war er stehengeblieben und hatte sich umgeschaut. Er hatte in alle Richtungen gewittert, ehe er weiterlief. Dann war er verschwunden. Es war ein ganz gewöhnlicher Hund. Das hatte er gerade noch gesehen. Aber warum lief der Hund so allein durch die kalte Winternacht? Wohin war er unterwegs? Ihm war, als fürchtete sich der Hund vor irgend etwas. Obwohl er anfing zu frieren, blieb er am Fenster sitzen und wartete darauf, daß der Hund zurückkam. Aber nichts geschah. Da draußen war nur die kalte, öde Winternacht, und weit entfernt leuchteten die Sterne.
    Er konnte den einsamen Hund nicht vergessen. In jenem Winter war er viele Male aufgewacht, ohne daß er wußte, warum. Jedesmal stand er auf, tappte über die kalte Korkmatte hinaus und setzte sich in die Fensternische und wartete auf den Hund.
    Einmal war er am Fenster eingeschlafen. Er saß noch um fünf Uhr morgens da, als sein Papa aufstand.
    »Warum sitzt du hier?« fragte sein Papa, nachdem er ihn wachgerüttelt hatte.
    Sein Papa hieß Samuel, und er war Waldarbeiter. Früh am Morgen ging er hinaus in den Wald zur Arbeit. Er fällte Bäume für eine große Firma.
    Er wußte nicht, was er antworten sollte. Schließlich konnte er ja nicht gut sagen, daß er auf einen Hund wartete. Vielleicht würde sein Papa glauben, daß er log, und sein Papa mochte es gar nicht, wenn die Menschen nicht die Wahrheit sagten.
    »Ich weiß nicht«, antwortete er, »vielleicht bin ich wieder im Schlaf herumspaziert?«
    Das konnte er sagen. Es stimmte zwar nicht genau, aber es war auch keine richtige Lüge.
    Früher, als er noch klein gewesen war, war er im Schlaf aufgestanden. Er konnte sich zwar nicht daran erinnern, aber sein Papa hatte es ihm erzählt. Mehrere Male war er im Nachthemd zu seinem Papa gekommen, der im Zimmer nebenan Radio hörte oder in alten Seekarten blätterte.
    Sein Papa hatte ihn geweckt, und er konnte nie erklären, wieso er im Schlaf spazierenging.
    Das war nun schon lange her. Fünf Jahre. Fast sein halbes Leben. Er war gerade elf geworden.
    »Geh ins Bett«, sagte sein Papa. »Hier ist es viel zu kalt.« Er kroch wieder unter die Decke und lauschte, wie sein Papa sich Kaffee kochte, Butterbrote strich, die er mit in den Wald nahm, und schließlich die Wohnungstür hinter sich zuschlug. Dann war es still.
    Er guckte auf den Wecker neben seinem Bett. Der Wecker stand auf einem Hocker, den er zu seinem siebten Geburtstag bekommen hatte. Er mochte den Hocker nicht. Den hatte er statt des Drachen bekommen, den er sich ge- wünscht hatte.
    Jedesmal, wenn er den Hocker sah, wurde er wütend. Wie kann man jemandem, der sich einen Drachen wünscht, statt dessen einen Hocker schenken?
    Zwei Stunden konnte er noch schlafen, ehe er zur Schule mußte. Er zog die Decke bis zum Kinn, rollte sich zusammen und machte die Augen zu. Sofort sah er wieder den einsamen Hund, wie er angelaufen kam. Er lief auf leisen Pfoten durch die Winternacht und war vielleicht auf dem Weg zu einem weit entfernten Stern.
    Ganz plötzlich wußte er es. Er mußte den Hund fangen, ihn in seinen Traum locken. Dort konnten sie zusammen sein, und dort war es auch nicht so kalt wie draußen in der Winternacht…
    Bald schlief er ein, der Sohn des Waldarbeiters. Er hieß Joel Gustafson, und es war im Winter 1956,
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