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Joel 1 - Der Hund der unterwegs zu einem Stern war

Joel 1 - Der Hund der unterwegs zu einem Stern war

Titel: Joel 1 - Der Hund der unterwegs zu einem Stern war
Autoren: Henning Mankell
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murmelt unablässig vor sich hin. Von Zeit zu Zeit nimmt er plötzlich tiefe Schlucke aus der Flasche, so als ob er es eigentlich nicht will, es aber trotzdem nicht lassen kann. Warum schenkt er sich nicht ein Glas ein? denkt Joel. Warum trinkt man überhaupt etwas, das so schlecht schmeckt?
    Als er eines Morgens aufsteht, ist Papa Samuel am Küchentisch eingeschlafen. Sein Kopf ruht schwer auf dem Tisch, und seine geschlossene Faust liegt auf einer Seekarte.
    Aber da liegt noch etwas anderes auf dem blauen Wachstuch.
    Eine abgegriffene Fotografie, geknickt, und an einer Ecke abgerissen. Sie zeigt ein Frauengesicht. Eine Frau mit braunen Haaren und Augen, die Joel geradewegs ansehen. Er weiß sofort, daß das seine Mama ist, die er anschaut. Weder lacht sie, noch kneift sie die Lippen zusammen. Sie schaut ihn nur an, und er denkt: So sieht also ein Mensch aus, der die Unruhe in sich hat.
    Auf der Rückseite steht ein Name. Jenny. Und der Name von einem Fotoatelier in Sundsvall.
    Jenny. Samuel und Jenny und Joel Gustafson. Wenn sie eine Familie wären, würden sie so heißen.
    Jetzt sind es nur Namen, die nicht zusammenhängen. Joel denkt, er muß seinen Papa fragen, was eigentlich passiert ist.
    Nicht jetzt, nicht heute, aber ein andermal, wenn morgens keine leere Flasche auf dem Tisch steht, wenn er zur Schule muß. Erst wenn sein Papa die Küche geschrubbt hat und alles wieder ruhig ist, dann kann er mit ihm reden. Immer geschieht es nachts.
    Joel wird vom Lärm in der Küche wach. Töpfe und Kessel klappern. Papa Samuel zischt und brummt und lacht vor sich hin, allzu heftig und zu laut. Dann weiß Joel, er hat angefangen zu scheuern.
    Er steht auf und schaut durch die angelehnte Küchentür zu.
    Samuel kippt Waschwasser über den Fußboden und gegen die Wände. Der glühende Herd dampft, und Samuels Gesicht glänzt schweißnaß. Mit einer Bürste scheuert er wütend auf Flecken und Schmutz herum, den nur er sieht. Einen ganzen Eimer voll zischender Seifenlauge schüttet er in den Kaminabzug. Er platscht in seinen nassen Wollsocken durchs Wasser und fuhrwerkt mit der Scheuerbürste herum, als ob das Schmerz lindern könnte.
    Joel hört seinen Papa etwas von Spinnweben und Schlangenknäueln murmeln und brummeln. Aber im Winter gibt es doch gar keine Spinnen, die ein Netz in der Küche spinnen können? Und wie sollte ein Schlangenknäuel oben in den Kaminabzug kommen? In diesem kleinen Ort weit im Norden von Schweden gibt es doch überhaupt keine Schlangen!
    Joel schaut durch den Türspalt zu und begreift, daß sein Papa etwas wegscheuert, was nur er sieht. Etwas, das ihn ängstlich und wütend macht.
    Hinterher liegt Papa Samuel regungslos im Bett. Er stöhnt und zieht das Rollo nicht hoch, obwohl es hellichter Tag ist. Er liegt im Bett, wenn Joel zur Schule geht, und dort liegt er immer noch, wenn Joel am Nachmittag wieder nach Hause kommt.
    Wenn Joel Kartoffeln gekocht hat und fragt, ob er etwas essen möchte, schüttelt er nur den Kopf und stöhnt. Ein paar Tage später ist es, als ob nichts geschehen, als ob alles nur ein Traum gewesen wäre.
    Wie immer steht Papa Samuel um fünf in der Früh auf, trinkt Kaffee und verschwindet in den Wald. Joel kann aufatmen.
    Jetzt dauert es eine ganze Weile, bis er wieder davon wach wird, daß Papa Samuel am Küchentisch sitzt und vor sich hin murmelt.
    Einmal hat Joel alles aufgeschrieben, was er seinen Papa fragen will. Als erstes wird er fragen, warum sie nicht am Meer wohnen. Das ist vielleicht nicht gerade die wichtigste Frage. Aber er möchte mit etwas anfangen, das nicht zu schwer ist.
    Bei jeder Frage, die er aufschreibt, denkt er sich auch mögliche Antworten aus und auf welche Antwort er hofft. Dann möchte er wissen, warum er in Sundsvall geboren wurde.
    Und warum seine Mama, die Jenny heißt, mit dem Zug davongefahren ist und ihn bei der alten Westman gelassen hat.
    Das ist auch schwer, weil er nie weiß, was er antworten soll, wenn ihn jemand fragt, warum er keine Mama hat. Er ist der einzige. Der einzige, den er kennt, der keine Mama hat.
    Mit irgend etwas der einzige zu sein, ist oftmals gut. Als einziger ein Flugzeugmodell aus Balsaholz zu besitzen oder ein Fahrrad, das auf dem Vorderrad gerippte Reifen und auf dem Hinterrad Reifen mit Stollen hat. Aber als einziger keine Mama zu haben, das ist nicht gut.
    Das ist noch schlimmer, als wenn man eine Brille tragen müßte.
    Das ist sogar noch schlimmer, als wenn man stottern würde.
    Die einzige Mama, die weg
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