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Joel 1 - Der Hund der unterwegs zu einem Stern war

Joel 1 - Der Hund der unterwegs zu einem Stern war

Titel: Joel 1 - Der Hund der unterwegs zu einem Stern war
Autoren: Henning Mankell
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entgegen. »Ich weiß, was du denkst«, sagt er. »Ich hab sie rausgenommen, weil ich finde, daß sie mal abgestaubt werden muß. Da hab ich gesehen, daß da ein Buch liegt, und das muß ja deins sein. Es liegt noch da. Ich verspreche dir, daß ich es nicht öffne. Geheimnisse haben wir alle. Wenn du dir die Stiefel ausziehst und dich hinsetzt, erzähl ich dir eins von meinen Geheimnissen. Geheimnisse darf man nur verraten, wenn man es selbst will.«
    Er streckt sich auf der Küchenbank aus. Joel zieht sich die Stiefel aus und setzt sich auf seinen Stuhl.
    »In der Nacht, als sie mich geweckt haben und du da oben auf der Brücke gelegen hast«, sagt Samuel, »da hab ich überlegt, wie es war, als ich selbst elf Jahre alt war. Das ist lange her, und es hat einige Zeit gedauert, bis ich mich erinnern konnte. Aber schließlich ist es mir eingefallen. Als ich so alt war wie du, war mein Papa, dein Großvater, schon tot. Ich hab dir ja erzählt, daß er in einem schweren Sturm mit seinem Fischkutter gekentert und ertrunken ist. An meinem elften Geburtstag, im Dezember, war schreckliches Wetter. Es war fast ein Orkan. Aber als alle eingeschlafen waren, zog ich mich an und schlich hinaus. Wir wohnten nah am Meer. Es tobte, und der Sturm blies mich fast um. Ich erinnere mich daran, wie ungeheuer wichtig gerade diese Nacht war. Das dachte ich damals jedenfalls. Irgend etwas würde ganz bestimmt passieren. Ich kletterte auf die Felsen, die dem Meer am nächsten waren. Da lag ich in einer Spalte und wartete darauf, daß das Wichtige geschah. Ich hatte keine Ahnung, was es sein könnte. Und ob es vom Meer oder von Land oder von den Sternen kommen würde. Ich erinnere mich daran, wie kalt mir war. Mich fror, daß ich zitterte. Und nichts passierte, außer daß es kälter und kälter wurde. Zuletzt mußte ich aufgeben und nach Hause gehen. Ich war enttäuscht, daran erinnere ich mich auch.
    Aber als ich in mein Bett kroch, begriff ich, daß das Wichtige doch passiert war. Ich hatte etwas erlebt, was ich nie vergessen würde. Ich war bei Orkan auf den Felsen draußen gewesen. In einer Felsspalte zu liegen, während der Sturm tobt, und darauf zu warten, daß etwas Wichtiges passiert, das war ein großes Geheimnis. Jetzt erinnere ich mich daran. Ich hab noch keinem Menschen davon erzählt.« »Nicht mal Mama Jenny?« fragt Joel. »Nicht mal ihr.«
    So haben Joel und Papa Samuel sich noch nie miteinander unterhalten. Etwas ist geschehen. Etwas Großes und Wichtiges. Etwas, das er nicht im Logbuch beschreiben kann.
    Jetzt weiß Joel, daß er unbequeme Fragen nach Mama Jenny stellen kann. Oder wegen Sara.
    Er kann sicher auch sagen, daß er keine Geschwister haben will, deren Mama Sara ist. Vielleicht sind diese Fragen jetzt auch gar nicht mehr so unbequem. Das bedeutet nicht, daß alle Antworten, die er bekommt, unbedingt genauso sind, wie er sie haben will. Aber sie werden nicht mehr furchtbar sein, schlecht ja, aber sie werden nicht im Bauch weh tun. Heute ist ein Tag, den er nicht vergessen darf. Ein wichtiger Tag. Sein und Papa Samuels Tag.
    »Was meinst du«, sagt Papa Samuel, »wird es bald Frühling?«
    »Wir ziehen irgendwohin, wo nicht dauernd Schnee liegt«, sagt Joel.
    »Das machen wir«, sagt Papa Samuel. »Wir ziehen irgendwohin, wo das Meer nie zufriert.«
    Joel geht zum Thermometer, das am Fenster hängt. Ein Grad unter Null. Weit kann der Frühling nicht mehr sein. In einem Monat leuchtet der erste gelbe Huflattich in einem schmutzigen Graben. Nur noch ein Monat…
    Und der Frühling kommt. Schließlich ist er da. Eines Tages entdeckt Joel den ersten Huflattich, der sich in einem Graben voll rauschendem Schmelzwasser duckt. Die Tage werden länger, und das schwarze Wasser des Flusses dringt langsam nach oben an die Eisoberfläche. Die weiße Fläche birst, Eisschollen brechen auf, drehen und wenden sich, um sich zu befreien. Der Schnee auf den Straßen ist bald verschwunden. Die gelben Laster der Straßenreinigung fegen den Splitt auf, der noch überall liegt, und eines Tages kommt der erste große Frühlingsregen. Es regnet vierundzwanzig Stunden lang, und übrig bleiben nur noch die Schneehaufen an den Straßenecken und an der Kirchenmauer.
    Eines Tages glänzt ein Elektroherd in der Küche. Der alte Herd steht verlassen auf dem Hof, und er tut Joel fast leid. Jetzt wird er nicht mehr gebraucht. Eines Tages Mitte April gehen sie zum Fahrradladen. Das Fliegende Pferd steht immer noch im Fenster. Joel sieht, daß Papa
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