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Joel 1 - Der Hund der unterwegs zu einem Stern war

Joel 1 - Der Hund der unterwegs zu einem Stern war

Titel: Joel 1 - Der Hund der unterwegs zu einem Stern war
Autoren: Henning Mankell
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der Winter, in dem alles geschah.
    All das, was mit dem Hund begann.

2
    Das Haus, in dem Joel mit seinem Papa Samuel wohnte, lag am Fluß. Im Frühling wälzt sich die Flut tosend und donnernd von den fernen Bergen, die hinter den dunklen Wäldern liegen. Genau hier, wo sie wohnten, macht der Fluß einen Bogen, ehe er seine lange Reise zum Meer fortsetzt.
    Aber jetzt im Winter schlief er unter seiner weißen Decke. Skispuren zogen Linien durch den weißen Schnee. Unten am Flußufer hatte Joel ein Geheimnis. Gleich neben den hohen steinernen Pfeilern der großen Eisenbahnbrücke. Jeden Tag ratterten mehrmals Züge über die Brücke, und dort neben den Pfeilern lag ein riesiger Felsblock, der in der Mitte geborsten war. Früher war der Felsblock kugelrund gewesen. Der Sprung hatte die Kugel in zwei Hälften geteilt, und Joel stellte sich vor, es sei der Erdball. Wenn Joel in den Spalt kroch, konnte er sich einbilden, tief drinnen in der Erde zu sein. Dort drinnen roch es nach feuchtem Moos, und er saß da und stellte sich vor, er könnte die Wirklichkeit in alles verwandeln, in was er nur wollte.
    In den gewaltigen Strudeln der Frühlingsfluten tanzten nicht Baumstämme, sondern Delphine, und die alte Baumwurzel, die auf der Sandbank gestrandet war, wo Pferdehändler Under immer seinen Kahn festmachte, war ein Flußpferd, das seinen schweren Kopf aus dem Wasser reckte. Und unter der Wasseroberfläche lagen die Krokodile und lauerten auf Beute.
    In der Felsspalte konnte Joel weite Reisen unternehmen. In Wirklichkeit war er noch nicht mal hinter den dunklen Wäldern gewesen. Das Meer hatte er noch nie gesehen. Aber das machte nichts. Dorthin würde er schon noch kommen. Wenn Papa Samuel endlich die Waldarbeit aufgab. Dann würden sie zusammen auf Reisen gehen. Und während er darauf wartete, konnte er in der Felsspalte liegen und seine eigenen Reisen machen. Er stellte sich vor, der Fluß sei die Meerenge zwischen Mauritius und Reunion, den beiden Inseln, die vor Madagaskar liegen. Er wußte, wie es dort aussah. Papa Samuel hatte ihm erklärt, wie vorsichtig man durch diese Meerenge segeln mußte. Dort gab es gefährliche Riffe unter Wasser, und vom Kiel des Schiffes waren es viertausend Meter bis zum Meeresgrund.
    Papa Samuel war Seemann gewesen. Er wußte, wovon er redete.
    Wenn Joel Delphine und Flußpferde vor sich sah, dann waren es Papa Samuels Erzählungen, die vor seinen Augen lebendig wurden. Manchmal nahm er auch eine von Papa Samuels Seekarten mit, um den Fluß noch leichter in eine andere Welt zu verwandeln.
    Im Winter war der große geborstene Felsblock von Schnee bedeckt. Dann ging Joel nicht so oft dorthin. Nur manchmal nahm er seine Skier und fuhr den Abhang zum Fluß hinunter, um sich zu überzeugen, daß der Felsblock noch da war. Mit den Skiern und Skistöcken zog er Spuren um den Felsen. Sie sahen aus wie ein Zaun, und Joel bildete sich ein, daß niemand seinen Felsen überfallen und einnehmen konnte.
    An den Winterabenden saßen Papa Samuel und Joel in der Küche, und Joel hörte Papa Samuel zu. Über dem Herd in einer Glasvitrine stand ein Schiffsmodell. Es hieß »Celestine«, und Papa Samuel hatte es einmal einem Inder in Mombasa abgekauft. Wenn Papa Samuel seine nassen Wollsocken zum Trocknen unter der »Celestine« aufhängte, beschlug das Glas, und Joel stellte sich vor, das Schiff liege in einer Nebelbank und warte auf Wind.
    Und so verwandelte er auch das Haus, in dem sie wohnten. Dann war es kein Haus mehr, sondern ein Schiff, das draußen im Fluß vor Anker lag und auf Wind wartete. Ein Wind, der es zum Meer bringen würde. Der kaputte Zaun war die Reling, und die Wohnung unterm Dach war die Kapitänskajüte. Der rostige Pflug, der halb im ehemaligen Kartoffelbeet begraben lag, war der Schiffsanker.
    Einmal würde das Haus, in dem sie lebten, befreit werden. Sie würden den Anker an Bord hieven und langsam den Fluß hinuntergleiten, vorbei an der Landzunge mit dem alten Tanzplatz, und hinter der Kirche würden sie im tiefen Wald verschwinden.
    »Erzähl mir vom Meer«, sagte Joel zu seinem Papa. Und wenn Papa Samuel Lust hatte zu erzählen von all dem Seltsamen, das er erlebt hatte, dann kuschelten sie sich auf der Küchenbank zusammen. Papa Samuel stellte das Radio an. Er drehte an einem Knopf, bis nur noch ein Rauschen zu hören war.
    »So klingt das Meer«, sagte er. »Mach die Augen zu und sieh es vor dir. Ein Meer ohne Ende.« Aber manchmal hatte er keine Lust zu erzählen. Joel
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