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Joel 1 - Der Hund der unterwegs zu einem Stern war

Joel 1 - Der Hund der unterwegs zu einem Stern war

Titel: Joel 1 - Der Hund der unterwegs zu einem Stern war
Autoren: Henning Mankell
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etwas fragen. »Was ist eine Galejationsfigur?« fragt er.
    Joel zuckt zusammen und spürt, wie sein Herz heftig zu schlagen beginnt. Das hätte er sich doch denken sollen! Dieser verdammte Otto! Jetzt würde er entlarvt werden. Alle hatten gehört, was er gesagt hatte. Daß seine Mama eine Galionsfigur sei.
    »Noch einmal«, sagt Frau Nederström. »Wie sollte das heißen?«
    »Galejationsfigur«, sagt Otto wieder.
    »Es heißt Galionsfigur«, korrigiert Frau Nederström ihn.
    Antworte ihm nicht, denkt Joel aufgeregt, antworte ihm nicht jetzt…
    Das tut sie auch nicht.
    »Weiß jemand in der Klasse, was eine Galionsfigur ist?« fragt sie.
    Niemand antwortet, am allerwenigsten Joel, der einzige, der es weiß.
    Da meldet Otto sich wieder.
    »Joel weiß es«, sagt er. »Seine Mama ist eine Galeja… na, so eine…«
    Frau Nederström sieht Joel an.
    »Was hast du dir denn nun wieder ausgedacht«, sagt sie. »Eine Galionsfigur ist eine Skulptur aus Holz, die am Bug eines Schiffes hängt. Heutzutage nicht mehr, aber früher. Kein Mensch hat eine Mama aus Holz.« Joel kann gerade noch denken, daß er Frau Nederström genauso sehr haßt wie Otto, da bricht die Klasse in boshaftes Gelächter aus.
    »Du weißt ja eine Menge über merkwürdige Sachen«, sagt Frau Nederström. »Aber manchmal geht wahrscheinlich die Phantasie mit dir durch.«
    Joel starrt auf seinen Tisch, fühlt, wie ihm Röte ins Gesicht steigt, und haßt, haßt, so sehr er kann.
    »Joel«, sagt Frau Nederström. »Sieh mich an!«
    Langsam hebt er den Kopf. Der ist schwer wie ein Steinklotz.
    »Es macht nichts, wenn man Phantasie hat und Sachen erfinden kann«, sagt sie. »Aber du mußt auseinanderhalten, was erfunden und was wirklich ist. Du erinnerst dich doch noch an die Seerosen?«
    Die Seerosen! Natürlich erinnert er sich, obwohl er versucht hat, sie zu vergessen. Die großen Seerosen auf Mauritius, von denen ihm sein Papa einmal erzählt hatte. Genauso groß wie das Mittelfeld der Eishockeyfläche, die jeden Winter auf der Sandfläche vor dem Schulhof ausgegossen wird.
    Einmal sollte jeder in der Klasse etwas Spannendes erzählen, etwas, was er gelesen oder was ihm jemand erzählt hatte.
    Joel hatte von den Seerosen auf Mauritius erzählt. »So groß werden sie wohl nicht sein«, hatte Frau Nederström gesagt, als er fertig war.
    Damals war er noch so dumm gewesen, daß er recht bekommen wollte.
    »Die sind so groß«, sagte er. »Vielleicht noch größer.« »Wer hat das gesagt?« fragte Frau Nederström. »Mein Vater hat sie gesehen. Der ist nämlich zur See gefahren«, antwortete Joel. »Und der weiß verdammt noch mal, wovon er redet.«
    Woher der Fluch gekommen war, wußte Joel nicht. Aber Frau Nederström wurde böse und schickte ihn hinaus. Danach hatte er beschlossen, niemals mehr etwas von fernen Ländern in der Schule zu erzählen.
    Wie sollten sie auch wissen, wie die Wirklichkeit eigentlich aussah?
    Sie, die nie etwas anderes als Schnee und die Kammlinien der unendlichen Tannenwälder gesehen hatten? Er stapft durch den Schnee nach Hause. Es fängt schon an zu dämmern, obwohl es erst Nachmittag ist.
    Jetzt bin ich elf Jahre alt, denkt er. Irgendwann bin ich alt, und irgendwann werde ich sterben. Aber dann bin ich weit weg von hier, weit weg vom Schnee und von Otto, der nie seine Schnauze halten kann…
    Ihm läuft die Nase, und er geht schneller. In Svenssons Feinkostladen kauft er ein Kilo Kartoffeln, ein Päckchen Butter und einen Laib Brot. Svensson, der nie ganz nüchtern ist und der Fettflecke auf dem Jackett hat, schreibt die Sachen in seinem Buch an.
    Ich kaufe ein wie irgendeine blöde Mutter, denkt Joel wütend. Erst muß ich einkaufen und dann Kartoffeln schälen. Ich bin meine eigene Mama.
    Als er durch das Gartentor geht, das schief in den Angeln hängt, denkt er, daß dieses Haus niemals auf dem Fluß davontreiben wird. Nie wird der richtige Wind kommen.
    Er läuft die knarrende, dunkle Treppe hinauf, schließt die Tür auf und zündet Feuer im Herd an, bevor er sich die Stiefel auszieht.
    Es muß etwas passieren, denkt er. Ich will nicht mehr warten.
    Während die Kartoffeln kochen, sucht er vorsichtig in Papa Samuels Zimmer nach dem Foto von Mama Jenny. Er sucht zwischen den Büchern und Kleidern, zwischen den Seekarten, die ordentlich aufgerollt sind, aber er findet nichts.
    Hat er denn das Foto mit in den Wald genommen? denkt Joel. Warum versteckt er es vor mir?
    Er beschließt, Papa zu fragen, sobald er nach Hause
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