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Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!

Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!

Titel: Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!
Autoren: Andreas Altmann
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drüben steht das Scheißhaus. Ich kann dir nur die Richtung zeigen, doch scheißen musst du selbst.« Wie vulgär, wie weise.
    Vorbei an einem Teil des indischen Volkes, das entlang der Gleise seine Notdurft verrichtet, in der Hocke, entspannt. Nach einer halben Stunde wird die Welt ansehnlich, grün, die ersten Sonnenstrahlen zwischen den Nebelschwaden. Ochsen schauen herüber. Die Reisfelder, die Stille, wie Elfen sehen die Kinder von ferne aus. Eine Landschaft wie im Märchen. Märchenhaft schön und verwunschen. Ich bin ein hoffnungslos irdischer Mensch. Aber auch die Gottlosen, die immer Weltlichen, suchen etwas, was über sie hinausgeht, was ein Gefühl von Nähe und Vertrautheit zu den anderen herstellt: wie der Blick auf die Natur oder das Erleben von Kunst, wie das Lesen eines Gedichts, wie die Wärme eines anderen Körpers, wie Musik, wie das Versinken in etwas, das auf unerklärliche Weise reicher macht, tiefer und beschwingter.
    Ankommen und mit einer Fahrrad-Rikscha in die Altstadt Varanasis fahren, immer die endlose Godaulia Street entlang. Ich liebe diese Straße, sie gibt einen Blick ins indische Herz frei. Legionen von Vehikeln wälzen sich aneinander vorbei, wie ein gigantischer Fischschwarm sehen wir aus, wir 20 000 oder 30 000, die sich um diese Uhrzeit genau hier begegnen. Blitzhaft, verschwommen, nichts als eine Woge aus Leibern, Eisen und Blech. In Europa hätten wir längst den Bürgerkrieg aus gerufen, nicht hier. Dank ihres genetischen Erbguts führen die Einwohner gerade den nackten Irrsinn vor und nichts passiert. Keine Toten, keine Verletzten, kein Zeitverlust.
    Die Stadt hat zwei oder drei oder vier Millionen Einwohner. So heilig geht es hier zu, dass jeder Tote ein glücklicher Toter ist. Weil er neben dem heiligen Ganges verbrannt und versenkt wird, ja, anschließend umstandslos und ohne lästige Wiedergeburt ins Nirwana abhebt. Sagen sie, glauben sie. Seit unheimlich vielen Jahren. Dass der Fluss inzwischen als Giftbrühe daherkommt, glauben sie nicht. Keiner der tausend mal tausend (wissenschaftlichen) Nachweise beeindruckt sie. Jeden Morgen kehren sie an seine Ufer zurück und zelebrieren den »holy dip«, das heilige Eintauchen. Hoch und heilig und immer versaut.
    Am nächsten Morgen bin ich an den Ghats, den Treppen, die hinunter zum Wasser führen. Ich sehe einen jungen Kerl, der sich bis auf die Unterwäsche auszieht. Er hat nur ein Stück Seife dabei, sonst nichts, keine Creme, keine Bürste, kein Shampoo, keinen Kamm, kein Handtuch. Und er taucht unter, taucht auf, seift sich ein, auch die Haare, taucht wieder unter, wieder auf. Und kommt zurück zum Ufer, schüttelt den Haarschopf und zieht sich an. Das Hemd, die Hose, die Sandalen. Was für eine Unbeschwertheit, was für Gesten der Freiheit, was für eine souveräne Missachtung der Regeln eines »gesunden Lebens«.
    Ich flaniere. Suchte ich systematisch, ich wäre tausend Jahre in Indien unterwegs. Ich will meiner Intuition vertrauen. Bin ich in Hochform, so erkenne ich das Glück, das mir begegnet. Bin ich dunkel und verbittert, gehe ich ihm zielstrebig aus dem Weg.
    Ein Mann stellt sich vor mir auf, ein Bürogesicht, verschmitzt. Er mustert mich, und die Götter schenken uns folgenden Dialog, er beginnt:
    – You look like an American actor.
    – I don’t look like one, I am an American actor.
    – I knew it, I saw you yesterday on tv.
    Man muss (sich) nur überzeugend darstellen, und alles, absolut alles, wird geglaubt. Der Verschmitzte wird jetzt nach Hause laufen und erzählen, dass er einen amerikanischen Schauspieler getroffen hat. Morgen kommt einer vorbei und sagt, er sei erleuchtet. Und wieder werden sie es für wahr halten. Glauben ist tatsächlich wie Opium, er bewahrt vor jeder Kopfarbeit, macht dösig und trüb. »Selig die Einfältigen, denn ihrer ist das Himmelreich.« Verlockender kann man zur geistigen Trägheit nicht einladen.
    In diesem Land gibt es den Irrsinn umsonst. Doch jetzt tritt er noch heiterer auf. Wieder ein Mann (Frauen stellen sich einem Fremden in Indien nicht in den Weg), schönes weißes Haar weht über seine Stirn, das lange weite Hemd wallt, der Shiva-Tupfen auf der Stirn leuchtet. Ah, ein Windei, ein Hochstapler, kleinste Körperbewegungen verraten es. Und Yudai übertrifft all meine Vorfreude. Er stellt sich als Wahrsager vor, hat mit je einem »master degree« in »Astrology« und »Sociology« an der hiesigen Banaras Hindu University abgeschlossen. Inzwischen besitzt er vier
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