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Treibhaus der Träume

Treibhaus der Träume

Titel: Treibhaus der Träume
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Hände.
    »Generalprobe!« sagte Lorentzen fröhlich. Er wußte, was im Herzen des Mädchens jetzt vor sich ging. Es war vier Zentimeter kleiner geworden, um wieder auf beiden Beinen laufen zu können. Um einmal zu tanzen wie andere, sich im Wasser zu tummeln, durch den Wald zu wandern, ein glücklicher, verliebter Mensch zu sein.
    »Ich habe Angst …«, sagte Evelyn mit kläglicher Stimme.
    »Wovor?«
    »Daß alles umsonst war.«
    »Genau das ist es nicht. Das Röntgenbild, ich zeige es Ihnen gleich, lügt nicht. Die Knochen sind fest verheilt. Dafür haben Sie ja auch vier Monate lang Kalktabletten gegessen, Kalkinjektionen bekommen, kalkhaltige Kost verzehrt. Wir haben Sie mit Kalk vollgepumpt. Eigentlich müßte es aus Ihrer Nase rieseln, wenn Sie niesen!«
    Evelyn Heinzel lachte. Es klang befreit und nicht mehr gedrückt. Lorentzen hielt ihr die Krücken hin, sie ergriff sie und ließ sich von Schwester Frieda aufsetzen. Ihre gegipsten Beine standen auf dem Boden, aber sie wagte es noch nicht, sie mit dem Körper zu belasten.
    »Krücken unter die Achseln und hopp!« sagte Dr. Lorentzen. »Das müssen Sie allein können! Ich weiß, wie schwer das ist. Wenn man vier Wochen stramm gelegen hat, muß man laufen lernen wie ein Säugling. Da stimmt nichts mehr in den Muskeln und Sehnen. Da hilft nur eiserner Wille und Training … Training. Für Training werden wir sorgen … den Willen müssen Sie mitbringen.«
    »Ich habe ihn«, sagte Evelyn fest.
    Sie stemmte sich in den Krücken hoch und stand. Mit ungläubigen Augen sah sie an sich herunter. Beide Beine waren gleich lang. Sie konnte stehen. Sie meinte, den Boden fühlen zu können … mit beiden Füßen … seit elf Jahren wieder …
    Mit … beiden … Beinen …
    Sie schwankte. Schwester Frieda stützte sie. Und dann weinte sie und bewegte, so gut es ging, die Zehen im Gips, und sie spürte den Boden und konnte sich nicht davon trennen und genoß es mit geschlossenen Augen, daß sie stand, aufrecht und gerade, so wie alle anderen Menschen.
    »Gehen wir!« sagte Dr. Lorentzen, selbst etwas ergriffen von diesen Minuten. »Ganz langsam, nur ein paar Schritte … Ja, es tut weh, ich weiß …«
    Mit zusammengebissenen Zähnen versuchte Evelyn den ersten Schritt. In beiden Oberschenkeln und in den Gelenken bohrten schreckliche Schmerzen; sie waren so stark, daß das Zimmer sich vor ihr verdunkelte und die Gesichter von Schwester Frieda und Dr. Lorentzen grau und verfallen wirkten … aber sie ging, an den Krücken hängend, und trat auf … einmal … zweimal … dreimal … drei Schritte mit gleichlangen Beinen …
    »O Gott!« rief sie und ließ die Krücken fallen. »O mein Gott … du hast ein Wunder an mir getan …«
    Sie sank in die Arme von Lorentzen und Schwester Frieda, die sie zurück zum Bett trugen.
    Sie war vor Glück ohnmächtig geworden.
    Die Operation war also gelungen. Nun kam der nächste schwere Teil. Das Bein, über elf Jahre lang verkümmert, mußte dem gesunden Bein gleichgebildet werden.
    Lorentzen hatte in den vier Wochen, in denen Evelyn liegen mußte, wieder die Handwerker in der Klinik. Sie bauten im Keller, in dem damals der rätselhafte Brand ausgebrochen war, ein großes gekacheltes Becken zur Unterwassermassage und Wassergymnastik.
    Am Tage der Fertigstellung standen Lorentzen, Marianne und Ilse Patz vor dem Wasserbecken und sahen zu, wie das Wasser einlief. Unbemerkt von Lorentzen sahen sich die Freundinnen an. Sie hatten den gleichen Gedanken.
    Ja, es ist der Keller.
    Der Keller.
    »In Kürze kannst du zeigen, was du gelernt hast, Ilse«, sagte Lorentzen, als das Becken vollgelaufen war. »Damen durch die Wiesen scheuchen, das kann jeder. Aber Unterwassermassagen, Lockerungsgymnastik …«
    »Ich freue mich darauf.« Ilse Patz trat an den Beckenrand. »Ich habe eigentlich immer bedauert, daß ich an diese Sachen drüben auf der Farm nie herangekommen bin. Ich habe es bei der Ausbildung gern getan. Wann geht es los?«
    »In vier Tagen.« Lorentzen legte den Arm um Ilse. Und es war merkwürdig: Sie spürte keinen durch das Blut wallenden Schauer mehr bei dieser Umarmung, und auch Marianne sah zu, ohne eifersüchtig zu sein. »Ich will, daß Evelyn Heinzel Weihnachten ohne Hilfe zum Tannenbaum gehen kann …«
    »Ist das theoretisch möglich?« fragte Ilse.
    »Aber ja. Der Heilungsprozeß ist vorzüglich.«
    »Dann läuft sie Weihnachten.« Ilse warf den Kopf in den Nacken. »Das schaffen wir!«
    In Hamburg hatte der alte Heberach
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