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Treibhaus der Träume

Treibhaus der Träume

Titel: Treibhaus der Träume
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Ein Schrei gellte durch das stille Haus.
    Er kam aus den Kellerräumen, flog die Treppe hinauf und ließ die junge Dame in dem weißen Kittel, die gerade vorüberging und zum Gymnastiksaal wollte, zusammenschrecken. Dann fiel unten eine Tür ins Schloß, und der Wortschwall, der dem Schrei gefolgt war, erstarb. Die junge Dame lauschte noch ein paar Sekunden die mit einem roten Teppich belegte marmorne Kellertreppe hinunter, hob dann die Schultern, zog den weißen Kittel mit dem goldbestickten Monogramm AF auf der Brust glatt und ging weiter.
    Unten, in Raum 6, Abteilung ›Kosmetik‹, geschah unterdessen eine Tragödie.
    »Wie sehe ich aus?« schrie eine Frau und starrte in den großen Spiegel an der mit einer fröhlichen Blümchentapete geschmückten Wand. »Was haben Sie mit mir gemacht? Ganz rot! Wie eine Tomate! Das ist ja schrecklich! Das ist ja fürchterlich! Sie haben meine Haut zerstört! Sie haben mein schönes Gesicht entstellt! Sie … Sie haben mich häßlich gemacht! O Gott! O Gott!«
    Die Frau – sie mochte Mitte Fünfzig sein, hatte blondes, gefärbtes Haar und eine rundliche Figur – sie ließ sich auf eine der Spezialliegen fallen und schlug die Hände vor das Gesicht. In der Ecke des Zimmers, als sei sie dorthin geflüchtet, stand ein junges, hübsches Mädchen und bemühte sich verzweifelt, den Wortschwall durch Zeichen und Handbewegungen zu unterbrechen. Sie trug ebenfalls den weißen Kittel mit dem goldenen Monogramm AF. In der Hand hielt sie noch ein warmes Tuch, an dem der Rest eines grünlichen Breies klebte.
    »Wie eine Tomate. Wie eine Tomate«, sagte die Frau auf der Liege. Nun war es mehr ein Wimmern, das Greinen eines Kindes. »Mein Mann wird mich entsetzt anstarren. Er wird sich eine Geliebte nehmen. Sie haben meine Ehe zerstört … und ich bin hierhergekommen, sie zu retten. O Gott!«
    »Gnädige Frau!« Das Mädchen wagte einen Schritt zur Liege. »Diese Röte ist in zwei Wochen verschwunden.«
    »Zwei Wochen? Am Sonntag besucht mich mein Mann. Soll ich ihm so gegenübertreten?« Die Frau wandte sich um, nahm die Hände vom Gesicht und starrte wieder in den Spiegel. Es war, als wollte sie wieder aufschreien, als sie sich sah. Ein rundes, von zurückgekämmten Haaren eingerahmtes Gesicht, nicht häßlich, nur von alltäglicher Langeweile, ohne Schminke, Puder und Frisur von bestürzender Hohlheit, nun aber gerötet wie nach einem Sonnenbrand, und in diesem Rot die vielen Punkte … Pickel, wie man sagt. Akne, wie es die Kosmetiker nennen. Eine Tomate mit Masern!
    »Beruhigen Sie sich, gnädige Frau«, sagte das Mädchen. Sie erlebte es zum erstenmal, daß eine Insassin der ›Schönheitsfarm Almfried‹ die Nerven verlor und derart auf eine Behandlung reagierte. Die anderen Frauen nahmen es hin, tagelang so rot auszusehen. Sie trösteten sich mit dem Bewußtsein: In drei Wochen ist deine Haut rein und zart und faltenlos wie damals, als du zwanzig Jahre jung warst und Eduard dir über das Gesicht strich und sagte: »Liebling, du hast eine Haut wie ein Pfirsich …«
    »Beruhigen? Mit dem Gesicht?!«
    »Wir haben nur ein Peeling gemacht. Wir schälen die Haut mit der Akne ab. Es ist der einzige Weg, damit die Haut wieder …«
    »Und wenn sie mit Narben nachwächst?« stöhnte die Frau.
    »Das Mittel ist ganz ungefährlich. Es ist eine Kräutermischung aus Rußland …«
    »Auch das noch!« Die Frau warf sich auf das Ruhebett und starrte an die Decke.
    »Das Präparat ist von einer polnischen Kosmetikerin zusammengestellt worden.«
    »Noch schlimmer! O Himmel! Warum hat man mir das alles nicht vorher gesagt? Ich möchte Fräulein Steegert sprechen. Sofort. Auf der Stelle.«
    »Die Chefin ist verreist. Zu einem Kongreß nach Hamburg.«
    Die Frau auf der Liege begann zu weinen. Lang ausgestreckt lag sie auf einem Badetuch, bekleidet mit einem zweiteiligen Badeanzug, der deutlich machte, wo die Jahre zuviel hinterlassen hatten. Die Hüften waren gut gepolstert, der Bauch wölbte sich vor, und die Brüste hingen schwer in den Haltern. »Zwanzig Pfund zuviel, Frau Direktor Pfannenmacher«, hatte Marianne Steegert, eine der Besitzerinnen der Schönheitsfarm ›Almfried‹, bei der Anmeldung gesagt. »Ob wir die in drei Wochen herunterbekommen – ich glaube es kaum. Die Akne im Gesicht, das bekommen wir hin. Sie müssen nur alles mitmachen, was angeordnet wird. Die erste Woche wird schwer sein. Sie kostet Überwindung und Selbstbeherrschung. Aber wenn Sie einen starken Willen haben, dann
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