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Treibhaus der Träume

Treibhaus der Träume

Titel: Treibhaus der Träume
Autoren: Heinz G. Konsalik
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großen Gut. Bis Weihnachten muß er verheiratet sein – es ist der letzte Termin, auch altersmäßig –, sonst verliert er den Erstanspruch und der Bruder erbt alles. Der Bruder aber ist das, was man so einen Playboy nennt. Das herrliche Gut wäre schnell vertan.« Der ›Graf‹ atmete tief auf. Er sah wie ein Fabelwesen aus mit seiner wurstartigen Fleischrolle im Gesicht. Ein Doppelwesen, denn die eine Gesichtshälfte war menschlich und von einer faszinierenden harten Männlichkeit, ein Aristokratenkopf … die andere Seite schien von einem anderen Stern zu kommen, wo man kleine Rüssel auf der Backe trägt.
    »Meine Tochter macht Ihnen Vorwürfe, Doktor, daß der Termin Weihnachten nicht eingehalten wird. Sie befürchtet gesellschaftliche Folgen. So lange, sagt sie, und das mit Recht, kann ein Mensch keine Safari machen. Und wenn … zur Hochzeit seiner einzigen Tochter kommt er bestimmt zurück. Kommt er aber nicht – wie ich –, ist der Skandal fällig. O Doktor, Sie kennen ja nicht unsere österreichische Gesellschaft! Da ist bis heute der Geist des Franz-Josef hinübergerettet worden. Das strenge spanische Hofzeremoniell. Da wimmelt es von Hofräten und Exzellenzen, und alle träumen von der k.u.k. Monarchie …«
    »Dr. Lorentzen interessiert sicher kein historischer Abriß der Wiener Gesellschaft, Papa.« Das vornehme Mädchen sah mit einem Ausdruck von Ekel auf die Fleischwurst im Gesicht ihres Vaters. »War das nötig?« fragte sie.
    »Was?« entgegnete Lorentzen.
    »Diese Wurst im Gesicht.«
    »Schlagen Sie eine andere Operationsmethode vor.«
    »Ich bin kein Chirurg.«
    »Eben. Aber Sie maßen sich ein Urteil an. Das wäre genauso, als wenn ich sagen würde, daß mir Ihr Kostüm geradezu umwerfend häßlich vorkommt. Dabei ist es aus Paris, nehme ich an.«
    Man sah sich verbissen an und wußte, daß man sich nie leiden würde. Zwischen ihnen lag eine ganze Welt, und dazwischen war auch noch die Mauer der Arroganz. Der ›Graf‹ spürte es und nickte Lorentzen zu.
    »Meine Tochter kennt nur ein freiherrliches Leben. Sie hat sich noch nie untergeordnet«, sagte er entschuldigend. »Es ist auch meine Schuld. Bis ich zu Ihnen kam, war ich genauso. Erinnern Sie sich an Ihren Empfang in meinem Haus?«
    »Noch sehr genau, Graf.«
    »Das wäre heute unmöglich. Aber woher soll meine Tochter wissen, daß Schicksale Menschen verändern?«
    »Du sprichst von mir, als wenn ich dir fremd wäre«, sagte das stolze Mädchen. Der ›Graf‹ nickte traurig.
    »Du sagst es, Kleines. Als du eben hereinkamst, dachte ich mir: Wer ist das? – Deine Tochter? So selbstherrlich? – Und ich war plötzlich ein Fremder.« Er strich sich die Haare glatt und ging im Zimmer hin und her. »Wir haben uns geeinigt, Doktor, daß ich in Afrika erkrankt bin. Ein Jagdunfall wäre schlecht … Verletzte kann man transportieren. Aber eine schöne, runde Krankheit, vielleicht eine sehr ansteckende, das wäre ein Grund. Was könnten Sie vorschlagen, Doktor? Aber bitte, keine ekelerregende wie Beulenpest oder Lepra. Ich bin verstümmelt genug.«
    Dr. Lorentzen dachte intensiv nach. »Es gibt eine Art von Sumpffieber, die durch Mückenstiche übertragbar ist. Der Krankheitsverlauf ist sehr langwierig, er lähmt für einige Zeit auch das Denkvermögen, die Erinnerung. Sie können also später immer sagen: Ich wußte nicht mehr, wer ich bin, wo ich wohnte, wo ich überhaupt war.«
    »Das ist toll!« Der ›Graf‹ klatschte in die Hände. »Dieses Sumpffieber lege ich mir zu. Gibt es dabei Rückfälle, wie bei der Malaria?«
    »Nein.«
    »Schade.« Der ›Graf‹ lächelte mokant. »Ich hätte es später gut gebrauchen können … Erinnerungslücken … in der Politik und bei den Frauen. Bei beiden ist es sträflich, sich zuviel zu erinnern.«
    Damit war die Aussprache beendet. Die Tochter fuhr ab, und der ›Graf‹ stand oben auf seinem Balkon in der Kälte und blickte dem schweren Bentley nach, der im Schnee langsam hinunter nach St. Hubert glitt. Seine Augen waren traurig.
    Nach vier Wochen, kurz vor Weihnachten, durfte Evelyn Heinzel zum erstenmal aufstehen. Die Röntgenkontrolle hatte ergeben, daß das eingepflanzte Knochenstück von vier Zentimeter gut eingewachsen war, und der verkürzte Oberschenkel war ebenfalls gut verheilt.
    Dr. Lorentzen machte einen schlanken, aber festen Gehgips und brachte selbst die Krücken ins Zimmer. Evelyn lag in einem Schlafanzug auf dem Bett, Schwester Frieda saß neben ihr und hielt ihre bebenden
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