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Treibhaus der Träume

Treibhaus der Träume

Titel: Treibhaus der Träume
Autoren: Heinz G. Konsalik
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jetzt die ernsthaften Frauen, die nicht einer verlorenen Jugend nachjagten, sondern es als einen seelischen Druck empfanden, daß sie zwanzig Pfund zugenommen hatten und Kummerfältchen bekamen, Speckröllchen an den Rippen und Hüften, Doppelkinne und Hängebacken.
    Es wurde stiller auf der Schönheitsfarm. Aber es wurde auch intensiver gearbeitet. Im Gymnastiksaal floß viel Schweiß, und in den Kabinen im Keller, bei Franzbranntweinmassagen, Kakaobuttereinreibungen, Moorbädern und Ozonbesprühungen gab es selten Gespräche wie im Sommer, die sich nur um die Männer drehten. Jetzt sprach man von zu Hause, von den erwachsenen Kindern, von den Alltagssorgen. Der große Jahrmarkt der Eitelkeiten war vorbei, in der Nachsaison herrschte die Sehnsucht vor, ein wenig netter auszusehen. Das würde sich erst ab Januar ändern, wenn die Skisaison begann und die Damen der Gesellschaft zwischen Massagetisch und Skilehrer pendelten – ein wahrhaft hartes Training, das viele Fettpolster abschliff.
    Über Nacht war es jetzt also zum erstenmal weiß geworden. Der ›Graf‹ stand am Fenster und sah in die schwebenden Schneeflocken, Evelyn Heinzel hatte ihr Bett ans Fenster stellen lassen und konnte stundenlang auf den verschneiten Bergwald sehen. Ob ich jemals einen Berghang hinaufsteigen kann, dachte sie. Mit zwei gesunden Beinen? Ohne Stützkorsett, ohne Krücken? Ob ich wieder richtig laufen kann?
    Gibt es denn noch Wunder?
    An einem der ersten Dezembertage erhielt der ›Graf‹ Besuch.
    Seine Tochter kam. Das stolze Mädchen aus dem Schloß, von dem Lorentzen nie sagen konnte, wo es lag. Irgendwo in den Bergen … mehr hatte er nicht gesehen.
    »Wie geht es Papa?« fragte sie ein wenig hochmütig.
    »Schon sehr gut. Er hat seinen gestielten Lappen gut vertragen. Nächste Woche gehe ich daran, die Deckung zu machen. Dann ist der größte Defekt zu. Der Lappen ist gut durchblutet. Er wird sich nicht abstoßen.«
    »Und wie lange dauert es, bis Papa wieder normal aussieht?«
    »Bis man kaum etwas sieht außer ein paar Narben … noch ein halbes Jahr.«
    »Sie sagten damals, bis Weihnachten.«
    »Das ist leider unmöglich.« Lorentzen ärgerte sich über den hochnäsigen Ton des Mädchens. Für sie war er ein Handwerker, der bezahlt wurde. Ein Maurer zieht Mauern, ein Schneider näht einen Anzug. Ein Schönheitschirurg macht neue Gesichter. Ist er etwas anderes? Er wird bezahlt, also ist er eine Art Lakai. Lorentzen sah diesen Hochmut deutlich in den kalten Augen des Mädchens.
    »Es ist einfach, in wenigen Sekunden mit Säure ein Gesicht zu zerstören«, sagte er hart. »Es wieder aufzubauen, braucht Monate. Das ist ein Gesetz, das überall gilt: Zerstörung ist einfacher als Aufbau!«
    »Danke, Doktor.« Das Mädchen verzog spöttisch den Mund. Man sah ihr an, was sie dachte. Ich brauche keine Belehrungen. »Kann ich meinen Vater sehen?«
    »Wenn Ihr Vater Sie sehen will, gewiß.«
    »Würden Sie ihn bitte fragen?«
    »Er weiß nicht, daß Sie kommen?«
    »Nein.«
    Graf von Rethberg, dessen wahren Namen keiner kannte, war ehrlich verblüfft, als Lorentzen ihm den Besuch der Tochter meldete. »Natürlich will ich sie sprechen«, sagte er. »Wenn sie extra hierherkommt, muß es wichtig sein. Ich nehme an, es hängt mit ihrer Hochzeit zu Weihnachten zusammen.«
    »Die können Sie auf keinen Fall mitmachen, Graf«, sagte Lorentzen fest. »Ich kann Sie so, mit halb eingeheiltem Rollappen, nicht auf die Menschheit loslassen.«
    »Glauben Sie, ich will zum Gespött herumlaufen? Sie wissen doch, Doktor: Ich bin bei Ihnen, damit niemand von dem peinlichen Vorfall etwas erfährt.«
    Nach zwei Stunden fuhr die schöne, stolze Tochter wieder ab. Der schwere Bentley wartete vor der Klinik, und als sie aus dem Tor kam, zog der Chauffeur seine Kappe und riß die Tür auf.
    »Ein stinkfeines Fräulein!« sagte Dicki mit dem realen Blick des kleinen Mannes zu Xaver Grundmoser, der durch die Zähne pfiff und eine unanständige Bemerkung machte. »Bei der mußte Latein können, um zu können …«
    Der Grundmoser lachte so lange über diesen Kalauer, bis Dicki beleidigt war und aus seinem Zimmer ging.
    Bevor das Fräulein aber abreiste, hatte Graf Rethberg mit belegter Stimme Dr. Lorentzen gebeten, auf sein Zimmer zu kommen.
    »Meine Tochter heiratet Weihnachten«, sagte er, kaum daß Lorentzen eingetreten war. »Der Termin kann nicht verschoben werden. Es sind da bestimmte Erbgesetze im Spiel. Der Bräutigam ist der Majoratsherr auf einem
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