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Traumtrunken

Traumtrunken

Titel: Traumtrunken
Autoren: Kathrin Schachtschabel
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abgeschlossen gewesen.
     
    ***

Michaela hört den Schlüssel in der Tür. Es ist Rico, der Sekunden später mit einer Einkaufstasche in der Tür steht.
    Sie kann sich nicht mehr beherrschen. „Wo zum Teufel bist du gewesen?“, schreit sie ihn an.
    Rico weicht zurück.
    Sie nimmt das Baby mit ins Schlafzimmer hinüber, läuft schnell, als hätte sie es eilig.
    Doch sie muss es nicht mehr eilig haben.
    Rico sieht ihr nach, wie sie die Tür hinter sich schließt. Er kann nicht begreifen, was geschehen ist.
    Wer kann das schon?
    Sie setzt sich hinter das Bett. Ihr Oberkörper lehnt in der Ecke und ihre Arme wiegen ihren toten Sohn.
    Vor ihren Augen erscheint ein Bild. Eines, gegen das sie sich jetzt nicht mehr wehren kann. Sie hält inne, versucht die Augen zu schließen, doch schonungslos kommt es wieder.
    Sie sieht sich selbst auf dem Küchentisch sitzen. Ein kleines Mädchen, kaum älter als Rico. Ihre Mutter ist nicht da. Sie liegt nebenan im Wohnzimmer. Jetzt.
    Vorhin haben sie sich gestritten.
    Aber das war doch kein Grund.
    Vorhin ist sie hier gewesen.
    Hat vor ihren Augen ihren Bären angezündet. Mit einer Kerze, die sie ihm an Arme und Beine gehalten hat.
    Michaela hat versucht, ihn der Mutter aus der Hand zu reißen.
    Aber die Mutter war stärker. Sie hat Michaela so fest eingeklemmt in ihren Armen, dass Michaela die ganze Zeit hinschauen musste. Mit einer Hand hat die Mutter Benno über den Kerzenständer gehalten.
    Er hat nicht wirklich gebrannt, der Benno.
    Es hat furchtbar gerußt und gestunken und als das Feuer aus war, war nur noch ein Klumpen übriggeblieben.
    „Jetzt siehst du, was du davon hast!“, hat ihre Mutter zu ihr gesagt. „Du hast ihn mir auch weggenommen!“
    Sie ist immer lauter geworden und hat sie dabei an den Haaren gezogen. Es waren dieselben Haare, die Oma Elvi ihr morgens vor dem Kindergarten geflochten hat.
    Michaela hat nicht gewusst, von was die Mutter redet. Aber sie hat gespürt, dass es vorbei ist. Dass sie nun nicht länger hier wohnen kann.
    Die Mutter ist ins Nachbarzimmer gegangen und Michaela auf den Küchentisch geklettert. Sie hat Angst gehabt, sich das Kleid schmutzig zu machen. Dann würde die Mutter wieder schimpfen. Sie hat auf ihren Freund gestarrt, der weder Bär noch Asche war.
    Und in diesem Moment hat sie sich nichts sehnlicher gewünscht als dass Onkel Hannes jetzt kommen und sie in den Arm nehmen würde.
     
    Der Leichnam ihres Sohnes wird kälter, aber er sieht unversehrt aus. Nur das rosige Gesicht ist einer traurigen Blässe gewichen. Michaela drückt ihn an ihre Brust und weint.
     
    ***

Als Atze aus seiner Starre erwacht, geht er Michaela hinterher ins Schlafzimmer.
    Er sieht, wie sie in der Ecke am Boden sitzt. Die Arme hält sie verschränkt an der Brust, sie scheint geweint zu haben. Jetzt starrt sie nur vor sich hin.
    Atze weiß nicht, was los ist. Er kann sich ihre Verstörtheit nicht erklären.
    „Michi?“, fragt er nochmal.
    Doch sie reagiert nicht.
     
    ***

In den Abendstunden des 4. Novembers 1977 liegt Brigitte Pannek in den Wehen. Als alles überstanden ist, reicht ihr die Hebamme ihre neugeborene Tochter.
    Verstört fragt Brigitte Pannek nach ihrem Sohn.
     
    Am 4. November 1978, dem ersten Geburtstag von Michaela, erfährt Brigitte Pannek von Michaelas Vater, dass er seine schwangere Freundin nicht im Stich lassen kann. Er verlässt Michaelas Mutter.
    An diesem Tag steht keine Kerze auf dem Tisch.
     
    Am 28. März 2002 trauert Michaela um ihren nichtrealen Sohn Benni.
    Zu diesem Zeitpunkt ist sie im fünften Monat schwanger.

 
     
     
     
     
    Zwei Jahre später

Jakobs Teddy ist im Sand umgefallen. Er hat ihn füttern wollen.
    „Lass die Mami auch mal kosten.“ Atze schickt Jakob zu Michaela, die auf der Bank sitzt und vor sich hinstarrt.
    Der Kleine nimmt die Stufe aus dem Sandkasten nicht, ohne aus dem Gleichgewicht zu kommen.
    Dann läuft er Michaela entgegen und hält ihr sein rotes Förmchen an den Mund.
    Michaela schmeckt mit den Lippen und lächelt ein kurzes, eisiges Lächeln.
    Atze sieht, wie Jakob innehält und sie betrachtet. Dann kommt er zu ihm zurück, schmeißt das Sandförmchen und den Löffel weg und hebt den Teddy auf.
    Jakob zieht Atze mit sich, zur Schaukel.
    „Mit Teddy geht das nicht. Gib ihn mir, ich halte ihn fest“, sagt Atze und steckt den Bär unter seinen Arm. Dann hebt er Jakob auf die Schaukel.
    Mit den kleinen Händchen krallt er sich an der Kette fest.
    Atze schiebt an. Erst nur ein bisschen,
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