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Traumtrunken

Traumtrunken

Titel: Traumtrunken
Autoren: Kathrin Schachtschabel
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stärker in ihr Bewusstsein und Michaela merkte, wie die Farbe aus ihrem Gesicht verschwand. Sie würde doch nicht. Dass sie so etwas überhaupt denken konnte! Nein, sie würde einen Jungen nicht dafür verantwortlich machen, was ihre Mutter ihr angetan hatte. Dann würde sie lieber kein Kind haben wollen.
    So durfte es nicht kommen. Nicht, wenn sie darauf achtgab, wenn sie sich einredete, dass sie ihr Baby lieben musste. Dass es auf ihre Liebe angewiesen war.
    Und Rico freute sich doch auch auf ein Brüderchen.
    Michaela konnte erst aufhören, daran zu denken, als Atze am späten Nachmittag kam und sich zu ihr legte. Sie nahm seinen Arm, schmiegte ihren Kopf in seine Handfläche und schlief ein.
     
    ***

In der Nacht bekam sie Fieber und heftige Schmerzen im Unterleib. Michaela hatte Angst, dass etwas mit dem Baby passieren könnte. Ihr wurde heiß und kalt vor Aufregung, dann ließen sie heftige Stiche und ein dumpfer Schmerz an nichts anderes mehr denken. Sie rollte sich zur Seite und atmete tief, obwohl sie am liebsten aufgehört hätte zu atmen.
    Atze wurde von ihrem Stöhnen munter. Es dauerte, bis er begriff. Und dann schien er sich nur Sorgen um sie zu machen.
    Beinahe wäre sie wütend geworden, wenn sie die Kraft dazu gehabt hätte.
    „Ruf ein Taxi!“, krächzte sie, als die Schmerzen etwas nachließen. Sie drehte sich wieder auf den Rücken. Es war doch noch viel zu früh! Sie wollte es doch behalten. Keiner durfte es ihr jetzt schon wegnehmen! Sie konnte eine fürsorgliche Mutter sein, das wusste sie.
    Atze schaltete das Deckenlicht ein, als er ihre Sachen für die Klinik zusammensuchte. Es war unerträglich hell. Die Schmerzen kehrten zurück.
    „Atze, bitte!“
    Dann ging er endlich zum Telefon. Das Licht ließ er an.
    Das erste Taxiunternehmen weigerte sich, die Information an einen Wagen weiterzuleiten, als sie hörten, dass Michaela in den Wehen lag. Sie sollten einen Krankenwagen rufen.
    Atze wurde ungehalten.
    Beim zweiten Anruf änderte er seine Strategie und verschwieg den Anlass und das Ziel der Fahrt.
    Michaela war erleichtert, als sie es klingeln hörte.
     
    ***

Vorsichtig zog Atze seine Hand unter Michaelas Kopf hervor. Sie schien weder das Klingeln gehört zu haben noch merkte sie jetzt, dass er aufstand.
    Bevor er an der Tür war, klingelte es ein zweites Mal. Atze presste die Lippen zusammen und zog die Augenbrauen hoch. Er war froh, dass Michi eingeschlafen war!
    „Schuhberg!“, rief er unfreundlich in die Sprechanlage.
    „Möchten Sie Blumen kaufen?“, fragte eine Kinderstimme.
    „Nein, ich möchte keine Blumen kaufen!“
    Atze legte den Hörer auf. Als er sich umdrehte, um nach Michaela zu sehen, stand sie benommen in der Schlafzimmertür und starrte ihn an.
    Atze zögerte, dann ging er ihr entgegen und küsste sie auf die Wange, die ganz warm war. Er fühlte ihre Stirn. „Du bist heiß“, stellte er fest.
    „Ich glaub, ich hab Fieber.“
     
    ***

Jede der darauffolgenden Nächte träumte Michaela, dass sie das Baby bekam. Mal war es ein Junge, mal ein Mädchen, mal gebar sie Zwillinge wie ihre Mutter.
    Sie wusste meistens, dass sie träumte und so gelang es ihr zum Teil, den Ausgang zu beeinflussen.
    Manchmal sogar das Geschlecht.
    Noch tagsüber beschäftigten Michaela die Träume, die fürchterlich real waren.
    Wenn Atze anrief, erzählte sie ihm davon und als er am Freitagmorgen wieder da war, hatte er nichts Besseres zu tun, als sie zu fragen: „Na, was war es diesmal?“
    Michaela machte ihm keinen Vorwurf. Er wusste ja nichts von ihren Ängsten.
     
    Erst die zwei Tage in Österreich brachten Michaela auf andere Gedanken. Als sie tagsüber aufhörte zu grübeln, hörten auch die Träume auf.
     
    ***

Das Baby kam genau einen Tag nach Allerheiligen, kurz vor Michaelas vierundzwanzigstem Geburtstag.
    Und tatsächlich war das Baby ein Junge.
    Lange hatte Michaela überlegt, ob sie es wirklich Benedikt, nach ihrem verstorbenen Bruder, nennen sollte und tatsächlich war ihr bis zum Schluss kein besserer Name eingefallen. Benni und Rico Schuhberg. Das klang doch nicht schlecht.
    Michaela hatte mit der Geburt ihres Sohnes nicht nur einen Bruder zurückerhalten. Er war gleichermaßen Ersatz für Benno, den ihr ihre Mutter damals auf so grausame Weise genommen hatte, dass Michaela sich heute noch weigerte, den Tag in ihrem Gedächtnis abzurufen.
    Dabei konnte Michaela gar nichts dafür. Ihr war der Name für den Teddy selbst eingefallen und sie wusste nicht einmal, wo sie
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